St. Vincenz zu Altenhagen I

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Andacht für die Woche vom 4.September bis 10. September 2022

02.09.2022

Andacht für die Woche vom 4.September bis 10. September 2022
zum Wochenlied für den 12. Sonntag nach Trinitatis
„Wir haben Gottes Spuren festgestellt“ (EG.E 20)

Verfasser: Pfarrer in Ruhe Jürgen-Peter Lesch
(
Springe – früher Pfarrer der EKD in Hannover)


Spuren Gottes entdecken und deuten

Liebe Leserin, lieber Leser,
das Fest ist vorbei.
Die Bühne ist abgebaut,
die Stände sind verschwunden,
der Platz, an dem intensiv und ausgelassen
gespielt und gefeiert wurde,
liegt vertrocknet und verlassen da.
Keine Spur mehr
vom großen und schönen Andreasfest.
Alles ist vorbei.
     So geht es uns
manchmal auch mit Gott.
Es ist weit und breit
nichts von ihm zu sehen
oder zu spüren.
Ich fühle mich allein,
verlassen und auf mich gestellt.
Ich frage mich,
welchen Sinn es wohl noch hat,
mit Gott zu sprechen
oder von ihm zu reden.
Und denke, es ist vielleicht zwecklos,
nach ihm zu suchen.
     Das Wochenlied will uns Mut machen,
weiter zu suchen.
Es will uns aufrichten.
Wir sollen nicht in Hoffnungslosigkeit
die Augen schließen,
sondern den Blick heben,
umherschauen, genau hinsehen.
     Und noch etwas:
Wir sollen uns erinnern,
erinnern daran,
dass es in unserem Leben
Spuren Gottes gibt:
Wir haben Gottes Spuren festgestellt
auf unsern Menschenstraßen,
Liebe und Wärme in der kalten Welt,
Hoffnung, die wir fast vergaßen.
    
Auf „Menschenstraßen“
lassen sich Gottes Spuren finden,
im ganz alltäglichen Leben.
Dort, wo wir es nicht erwarten.
Menschen kümmern sich um andere in Not.
Sie helfen ihnen auf
und helfen ihnen weiter.
Sie nehmen sie auf
und nehmen ihnen Lasten ab.
Sie geben denen,
die aufgeben wollen,
die allein nicht mehr weiterkommen können,
neue Hoffnung.
Und wer Hoffnung gibt,
spürt die Hoffnung auch in sich.
Im Refrain heißt es:
Zeichen und Wunder sahen wir geschehn
in längst vergangnen Tagen,
Gott wird auch unsre Wege gehn,
uns durch das Leben tragen.
    
„Zeichen und Wunder“
hat Gott in Ägypten geschehen lassen.
Zeichen und Wunder,
die den Pharao schließlich dazu brachten,
das Volk Israel freizulassen (2. Mose 7,3).
Daran wird in der Bibel
immer wieder erinnert –
so z.B. in Psalmen
oder im Buch des Propheten Jeremia.
Jesus selbst tut Zeichen und Wunder;
doch er warnt zugleich davor,
jedem zu glauben, der sie tut.
Von Zeichen und Wundern
lesen wir in der Apostelgeschichte.
Dort waren sie wichtig,
um skeptische Menschen
für die frohe Botschaft
von Jesus Christus zu öffnen.
Zeichen und Wunder
stehen nicht für sich;
sie weisen auf den hin,
der sie bewirkt - auf Gott.
    
Die zweite Zeile des Refrains
lässt mich zögern:
„Gott wird auch unsere Wege gehen“.
Ja, Gott geht mit uns,
wir sind nicht allein.
Aber geht Gott auch unsere Wege?
Der ursprüngliche französische Text
 des Refrains ist sich da nicht sicher.
Er stellt Fragen:
Wird er wiederkommen,
auf unseren Wegen gehen,
unsere steinernen Herzen verändern?
Wird er wiederkommen,
in unsere leeren Hände
Liebe und Licht säen?

    
Diethard Zils,
der dem Text des französischen Liedes
frei nachgedichtet hat,
erzählt über die Entstehung:
„Wir hatten eine ökumenische Tagung …
[und] eine Pfadfinderinnengruppe
aus Frankreich dabei,
die haben dieses Lied mitgebracht,
haben das getanzt.
In einem Kreistanz …
Das [Lied] ist auch fragend,
da heißt es:
Das haben wir alles gehört,
das sind alte Geschichten,
aber geschieht
das auch in unserer Zeit?
Wird Gott auch unsere Wege gehen?
Uns durch die Fluten tragen?
So war auch meine erste Übersetzung.
Das ist schon früh gewesen,
das muss schon
vor der Beatmessen-Zeit gewesen sein.
Also vielleicht Ende der 60er-,
Anfang der 70er Jahre.“
     Der Text ist dann geändert worden –
wann und durch wen,
ist nicht zu klären.
Bleibt es bei der Frage,
bei der Ungewissheit.
Oder bei der Gewissheit:
„Gott wird auch unsre Wege gehn,
uns durch das Leben tragen“?
Ich denke, beides gehört zusammen:
die Ungewissheit,
der Zweifel auf der einen Seite,
und die Zuversicht,
das Vertrauen auf der anderen Seite.
Es kommt wohl darauf an,
meinen Weg immer wieder
vor dem Hintergrund
von Gottes Verheißung zu prüfen,
nach rechts und links zu schauen,
um Spuren Gottes zu sehen.
Es geht um offene Augen
für Gottes Zeichen in der Gegenwart
und seine Wunder in der Vergangenheit.
Davon spricht die zweite Strophe:
Blühende Bäume haben wir gesehn,
wo niemand sie vermutet,
Sklaven, die durch das Wasser gehn,
das die Herren überflutet.
    
Blühende Bäume sind Zeichen dafür,
dass das Leben nicht vergeht.
Dass auch aus Trümmern
Blumen wachsen,
dass unter verbranntem Boden
neues Leben wächst.
Und noch einmal
wird an den Exodus erinnert,
die Befreiung des Volkes Israel
aus der Sklaverei.
Doch diese Befreiung ist keine friedliche.
Hier zeigt sich eine dunkle Seite Gottes.
Gott kommt in unsere Welt,
aber er stellt sie nicht auf den Kopf.
Mehr noch. In Jesus Christus
unterwirft er sich uns,
unserer gewalttätigen Welt.
Und gibt uns damit einen Auftrag:
Ändert diese Welt,
indem ihr euch ändert.
Von einer solchen Veränderung
spricht die dritte Strophe:
Bettler und Lahme sahen wir beim Tanz,
hörten wie Stumme sprachen,
durch tote Fensterhöhlen kam ein Glanz,
Strahlen, die die Nacht durchbrachen.
    
Das Leben von Bettlern,
Lahmen und Stummen wird verändert.
Der Messias wird es verändern.
Das ist die alte Verheißung
an das Volk Israel.
Diese Verheißung wird Wirklichkeit
in und durch Jesus Christus.
Der Täufer Johannes lässt Jesus fragen:
„Bist du, der da kommen soll,
oder sollen wir auf einen andern warten?“ (
Mt 11,5)
Jesus sendet ihm die Antwort:
„Blinde sehen und Lahme gehen,
Aussätzige werden rein
und Taube hören,
Tote stehen auf
und Armen wird das Evangelium gepredigt“
.
Jesus beantwortet die Frage des Johannes
nicht mit einem Ja oder Nein.
Er verweist auf die alte Verheißung,
die Hoffnungsvision
im Buch des Propheten Jesaja:
„Dann werden die Augen der Blinden aufgetan
und die Ohren der Tauben geöffnet werden.
Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch,
und die Zunge des Stummen wird frohlocken“

(Jes 35,5-6).
An seinen Worten und seinen Taten
wird man den Messias erkennen.
Jesus gibt uns damit einen Auftrag:
Öffnet eure Augen!
Schaut euch um!
Deutet die Zeichen.
Lasst euch nicht entmutigen.
Blickt hinter das,
was vor Augen ist.
Lasst euch nicht blenden von denen,
die alles besser wissen.
Lasst euch nicht verwirren von denen,
die alles nur schwarz sehen.
Seht die Zeichen,
dort wo das Leben etwas besser wird.
Und erkennt, was ihr tun könnt,
damit es besser wird.
Redet mit anderen
über ihre Erfahrungen,
ihre Angst und ihre Sorgen
wie über ihre Freude
und ihre Hoffnungen.
Bleibt offen für neue Erfahrungen.
    
Wir Christinnen und Christen
sind alle Spurenleser.
Wir sind auf den Spuren der Zeichen
und Wunder Gottes.
Dabei entdecken wir
vielleicht unterschiedliche Spuren.
Und wir deuten sie
überdies anders als andere.
Unsere Gotteserfahrungen
unterscheiden sich.
Es gibt nicht eine einzige Art und Weise,
an Gottes gute Botschaft zu glauben
und sie zu leben.
Doch uns alle verbindet
die Erinnerung an Gottes Wirken
in unserer Welt und die Zusage Gottes,
wie wir sie im Buch des Propheten Ezechiel lesen:
Dann gebe ich euch ein neues Herz
und einen neuen Geist.
Das tote Herz aus Stein
nehme ich aus eurem Leib.
An seiner Stelle
gebe ich euch ein lebendiges Herz aus Fleisch“

(Ez 36,26).
    
Ich wünsche Ihnen,
dass Sie viele Spuren Gottes
in Ihrem Leben
und in unserer Welt
entdecken und lesen können.

Jürgen-Peter Lesch

 

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Vom 31. August bis zum 8. September 2022
tagt die 11. Vollversammlung
des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK)
in Karlsruhe.
Sie steht unter dem Thema
„Die Liebe Gottes bewegt, versöhnt und eint die Welt“.
Dem Ökumenischen Rat
gehören 352 Kirchen und Denominationen
aus mehr als 120 Ländern
mit mehr als 580 Millionen Christinnen und Christen an.
     Die Vollversammlung ist in diesem Rat
das höchste Entscheidungsgremium.
Zu ihr eingeladen haben
die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD),
die Evangelische Landeskirche in Baden
und die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen
 in Deutschland (ACK)
zusammen mit Kirchen
in Frankreich (Union der Protestantischen Kirchen
von Elsass und Lothringen, UEPAL)
und der Schweiz
(Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz).
Die letzte ÖRK-Vollversammlung in Europa
fand 1968 in Uppsala, Schweden, statt.
     Zu diesem Ereignis passt es gut,
dass das Wochenlied
ein ökumenisches Lied ist.
Beteiligt sind der aus Griechenland
stammender Komponist Jo Aksepsimas,
der in der Bretagne lebende
katholische Priester Michel Scouarnec
und der deutsche Dominikaner Diethard Zils.
     Die Melodie stammt von Jo Aksepsimas,
einem in Athen im Jahr 1940 geborenen
und seit seinem 18. Lebensjahr
in Frankreich lebenden Chansonnier
und Komponisten. Aksepsimas
studierte Philosophie, Literaturwissenschaften
und Musik und promovierte
mit einer Arbeit über Platon.
Seit seinem 28. Lebensjahr
widmete er sich ganz der gottesdienstlichen Musik
und der Liturgie.
Sein Stil ist von Choral, Jazz, Blues,
Chanson und Folklore geprägt.
     Er arbeitet zusammen
mit renommierten Dichtern
wie Michel Scouarnec.
Von dem stammt
der französische Text des Wochenliedes.
Michel Scouarnec (geb. 1934)
ist ein katholischer Priester,
Songwriter und Schriftsteller.
Er ist Priester der Diözese von Quimper (Finistère),
und war Professor für Liturgie
und Direktor des Radios
für die Diözese von Quimper.
Er ist Autor und Komponist
religiöser (auf Bretonisch und Französisch)
und weltlicher Lieder.
Scouarnec schrieb für dieses Lied sechs Strophen.
Sie handeln von der Morgendämmerung
eines neuen Friedens, die im Weltall glänzt.
Von Armen und Elenden,
die vor Freude tanzen.
Von dem Reichen, der mit leerem Herzen
und leeren Händen weggeht,
und dem Armen,
der sich mit leuchtenden Augen erhebt.
Von Hungrigen, die satt werden,
und Bettlern, die zum Festmahl kommen.
Von Gott, der seine Arme ausbreitet,
und aus seinem Herzen
entspringt die Quelle des Lebens.
Auch fügte er nach der letzten Strophe
einen zweiten, anderslautenden Refrain an:
Er wird am Ende des Weges wiederkommen
und in sein Licht nehmen.
Er wird wiederkommen
und uns an der Hand nehmen,
um beim Vater zu leben“
.
Damit weist Scouarnec
hin auf unsere Hoffnung
auf ein Leben
nach der Auferstehung bei Gott,
unserem Vater.
     Den deutschen Text für dieses Lied
schrieb Diethard Zils (geb. 1935).
Er gehört dem römisch-katholischen Orden
der Dominikaner an.
Wie viele andere
schuf er in der 1960er-Jahren
des letzten Jahrhunderts
in ökumenischer
und internationaler Zusammenarbeit
neue geistliche Lieder.
Überdies war er
an der Einführung von „Beatmessen“ beteiligt,
die auf Kirchentagen
und vielen anderen Veranstaltungen
aufgeführt wurden.
In das Evangelische Gesangbuch
sind die Lieder
„Lobt und preist
die herrlichen Taten Gottes“ (Nr. 429)
und
„Abraham, Abraham,
verlass dein Land“ (Nr. 311)
aufgenommen worden.
Sehr bekannt ist auch sein Lied
„Lasst uns den Weg der Gerechtigkeit gehen“.

 
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