St. Vincenz zu Altenhagen I

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Andacht für die Woche vom 29. November bis 5.Dezember 2020

29.11.2020

Andacht für die Woche vom 29. November bis 5.Dezember 2020
Verfasser:  Wilhelm Niedernolte
Superintendent in Ruhe
(Eldagsen)

„Siehe, dein König kommt zu dir,
ein Gerechter und ein Helfer,
arm und reitet auf einem Esel,
auf einem Füllen der Eselin.“

(Sacharja 9,9  – Wochenspruch für den 21. Sonntag nach Trinitatis)

 

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Schon die erste Generation der Christinnen und Christen
sah in diesem König Jesus Christus,
von dem erzählt wurde,
dass er auf einem Esel
in die Stadt Jerusalem geritten war
unter großem Jubel der Tochter Zion,
wie die Stadt Jerusalem auch genannt wurde.
Sie sahen die Ankündigung des Propheten Sacharja
in Jesus erfüllt,
zumal auch die Begleiterscheinungen so waren,
wie der Prophet vorhergesagt hatte.
Der König, der da kommen sollte,
der Messias, der Gerechte und der Helfer,
würde nicht
in einer militärischen Begleitmannschaft kommen,
mit Waffen und Kriegsrossen,
sondern auf dem Tier der armen Leute,
auf einem Esel.
   Genau das berichten
drei von vier Evangelien im Neuen Testament.

Siehe, dein König kommt zu dir,
ein Gerechter und ein Helfer
.
Diese Verheißung bekommt
ihre besondere Bedeutung
durch den geschichtlichen Kontext,
in dem sie steht.
   Der Prophet Sacharja
lebte in einer politisch und wirtschaftlich unsicheren Zeit.
Das Volk war aus der Gefangenschaft zurückgekehrt
in die ersehnte Heimat,
wollte den Tempel in Jerusalem wieder aufbauen,
auch die zerstörte Stadt mitsamt der Stadtmauer.
Es sollten Frieden und Wohlstand für alle
geschaffen werden.
Der anfängliche Enthusiasmus
erlahmte jedoch schon bald.
Zu groß waren die Probleme.
Es bildete sich schnell wieder eine reiche Oberschicht,
und auch eine religiöse und kulturelle Einheit
ließ sich nicht herstellen.
So wurde das Land der Tochter Zion
ein Spielball der benachbarten Großmächte,
zunächst der Großmacht Persien,
dann der Griechen, dann der Römer,
die die Stadt Jerusalem zerstörten
und das Volk in alle Welt zerstreuten.

   Der Prophet Sacharja
lebt also am Beginn einer unsicheren Zeit,
die sich über Jahrhundert hinziehen sollte.
   Auf diesem Hintergrund
ist seine Verheißung zu hören:
Siehe, dein König kommt zu dir,
ein Gerechter und ein Helfer
.
Er hatte die Hoffnung verloren,
dass Menschen
durch eine kluge und pragmatische Politik
Frieden und Wohlstand herstellen könnten,
dass Kriegsrosse, Kriegswagen und Kriegsbogen
für immer verbannt würden.
Das konnte nur von Gott selbst geschaffen werden,
von seinem Gerechten, von seinem Helfer.

   Es ist im weiteren Verlauf der Geschichte
nicht so gekommen,
aber der Traum von Frieden und Wohlstand
ist geblieben.
Und er erhielt neue Nahrung durch Jesus von Nazareth,
den Wanderprediger.
Er war für viele der Gerechte und der Helfer,
von dem der Prophet gesprochen hatte.
Andere waren von ihm enttäuscht,
weil auch er das Reich
von Freiheit, Frieden und Wohlstand nicht brachte.
Aber durch ihn wurde der Traum
am Leben erhalten und weitergegeben,
bis in unsere Zeit.

   Deswegen hören auch wir
jedes Jahr in der Adventszeit:
Siehe, dein König kommt zu dir,
ein Gerechter und ein Helfer.
Wir hören diese Verheißung in einer Zeit,
die völlig anders ist als die Zeit des Propheten
und die Zeit Jesu.
   Meine Generation, die nach dem Krieg geboren ist,
hat nichts anderes als Wohlstand
und Frieden kennengelernt.
Uns geht es so gut,
dass wir den Satz unserer Eltern
abgewandelt haben.
Unsere Eltern sagten:
Wir möchten, dass es unsere Kinder
einmal besser haben als wir.
Das sagt man in meiner Generation nicht mehr.
Wir sagen vielmehr:
Wir möchten, dass es unseren Kindern
genauso gut geht wie uns.
Und das wird nicht selbstverständlich sein.
Den meisten von uns geht es gut
im Sinne des Propheten Sacharja und seiner Zeit.
Gleichzeitig scheint uns
die Sehnsucht nach dem Gerechten
und dem Helfer ein wenig abhanden zu kommen.
Siehe, dein König kommt zu dir,
ein Gerechter und ein Helfer
.
   Brauchen wir den überhaupt noch
zu unserem Wohlergehen?

Viele von uns
erleben in diesen Wochen und Monaten
eine schwere Zeit mit vielen Ungewissheiten
für die kommenden Tage.
Werden wir einen Unterricht in den Schulen haben,
der die Familien entlastet oder belastet?
Werden wir Weihnachten
und den Jahreswechsel miteinander feiern können?
Werden wir die Pandemie beherrschen?

   Vielleicht hilft uns
dazu das erste Wort in der Verheißung des Propheten:
Siehe!
Sieh genau hin.
Vielleicht siehst du dann
zwischen allen Problemen,
Herausforderungen und Schwierigkeiten
auch die Bereitschaft, einander beizustehen –
in den Familien,
in den Schulen,
in den Pflegeheimen,
bei der Arbeitsstelle,
in den Krankenhäusern.
Und vielleicht siehst du dann auch
die mutige und besonnene Politik,
die unser Land durch Krise führen will.
Sieh genau hin, gerade jetzt.

 

Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Adventszeit.

Ihr Wilhelm Niedernolte

 
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