St. Vincenz zu Altenhagen I

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Andacht für die Woche vom 27.8. bis 2.9.2023

26.08.2023

Andacht für die Woche
vom 27.8. bis 2.9.2023
über das Evangelium
des 12.Sonntags in der Trinitatiszeit
Verfasser:
Pfarrer in Ruhe Jürgen-Peter Lesch
(
Springe – früher Pfarrer der EKD in Hannover)

Evangelium nach Markus, Kap.7,31-37
Von offenen Ohren und freier Rede

Und als Jesus wieder fortging
aus dem Gebiet von Tyrus,
kam er durch Sidon
an das Galiläische Meer,
mitten in das Gebiet der Zehn Städte.
Und sie brachten zu ihm einen,
der taub war und stammelte,
und baten ihn, dass er
ihm die Hand auflege.
Und er nahm ihn aus der Menge beiseite
und legte ihm die Finger in die Ohren
und spuckte aus und berührte seine Zunge
und sah auf zum Himmel
und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!,
das heißt: Tu dich auf!
Und sogleich taten sich seine Ohren auf,
und die Fessel seiner Zunge wurde gelöst,
und er redete richtig.
Und Jesus gebot ihnen,
sie sollten's niemandem sagen.
Je mehr er's ihnen aber verbot,
desto mehr breiteten sie es aus.
Und sie wunderten sich über die Maßen
und sprachen: Er hat alles wohl gemacht;
die Tauben macht er hören
und die Sprachlosen reden.

Liebe Leserin, lieber Leser,
Jesus legt Hand an.
Jesus legt Hand an, um einen Menschen zu heilen.
Einer, der taub ist und nur stammeln kann.
Er hat eine „taube Zunge“.
Er kann sich selbst nicht hören,
kann nicht richtig artikulieren,
kann sich nicht verständlich machen.
   
Dieser Mensch wird von anderen
zu Jesus hingebracht. Wer diese „sie“ sind,
die ihn zu Jesus bringen, wird nicht gesagt.
Sind es Verwandte, seine Eltern,
seine Geschwister?
Sind es Freunde und Freundinnen?
Und wenn ja,
wie ist diese Freundschaft entstanden?
Wie sieht sie aus, die Freundschaft
zwischen einem tauben Menschen,
der kaum reden kann, der stammelt,
und anderen, die reden und hören,
singen oder schreien oder flüstern können –
all die Nuancen der Sprache beherrschen,
die das Reden und Hören
so reich machen.
   
Welche Menschen auch immer
den Tauben zu Jesus bringen:
Sie wollen sich nicht damit abfinden,
dass er taub ist und nur stammeln kann.
Sie haben großes Interesse daran,
mit ihm reden zu können,
seine Stimme zu hören,
zu hören, was er ihnen zu sagen hat.
Sie haben Interesse an diesem Menschen.
Er soll nicht nur bei Ihnen sein,
stumm, scheinbar unbeteiligt,
sondern zu ihnen gehören,
ganz dazugehören.
„Dazugehören“ –
dieses Verb macht deutlich,
worum es bei einer Gruppe geht:
um das gemeinsame Hören.
Und vielleicht hoffen die,
die den Tauben bringen,
sogar, eines Abends mit ihm
am Ufer des Sees Genezareth zu sitzen
und gemeinsam alte und neue Lieder
zu singen.
   
Jesus fragt nicht lange.
Er sieht, um was es den Menschen geht.
Er führt den Tauben beiseite.
Was nun geschieht,
ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.
Jesus berührt den Kranken.
Er legt ihm die Finger in die Ohren.
Und er streicht ein wenig
von seinem Speichel
auf die Zunge des Stammlers.
Was uns ziemlich unhygienisch erscheint,
ist in der Antike nichts Ungewöhnliches.
Dem Speichel wurden sowohl heilende
als auch Unheil
abwehrende Kräfte zugeschrieben.
Deutlich wird bei diesem Geschehen:
Dass Jesus dem Kranken
ganz nahe kommt, ihn berührt,
ist für die Heilung ganz entscheidend.
Für mich heißt das:
Wer einem anderen Menschen helfen will,
der muss ihm nahe kommen –
körperlich oder auch geistig.
Der muss sich darum bemühen,
ihn und seine Situation zu verstehen,
ja, versuchen, sich in ihn hineinzudenken.
Es geht einerseits
um ein gutes Einfühlungsvermögen,
anderseits aber auch um eine klare Distanz.
Die andere, der andere ist nicht wie ich.
Ich kann versuchen, mich in sie,
in ihn emotional hineinzuversetzen.
Doch das hat Grenzen,
die der andere Mensch und ich selbst
wahrnehmen und respektieren müssen.
   
Weiter in der Erzählung
von der Heilung des Tauben.
Es zeigt sich,
dass Jesus die Kraft zu heilen
nicht aus sich allein hat.
Der Blick zum Himmel;
das ist wie ein Gebet:
„Mit Gottes Hilfe“, hören
und sagen wir selbst manchmal,
wenn es um unerwartete
oder unbegreifliche Hilfe aus schweren
und gefährlichen Situationen geht.
Dann sagt Jesus nur „Hefata!“.
Das ist aramäisch, die Sprache,
die Jesus selbst gesprochen hat.
In dieser Situation hören wir
sozusagen Originalton.
„Tu dich auf“ –
das richtet sich nicht nur an die Ohren
und den Mund des kranken Menschen.
Es geht um den ganzen Menschen.
Öffne deine Ohren
und gebrauche deine Stimme.
Zunächst vor allem:
Öffne deine Ohren.
Wir würden heute wohl sagen:
Hör dich um, hör genau hin!
Hör nicht nur auf das,
was dir in den Kram passt,
was deiner Meinung entspricht.
Hör auch das andere,
hör die Meinung anderer Menschen,
denk darüber nach
und tu sie nicht einfach ab.
   
Zum Hören kommt das Reden.
Das offene Wort.
Manchmal sprechen Menschen davon,
dass sie anderen
eine Stimme geben wollen;
Menschen, die ungehört bleiben
oder sich selbst nicht äußern.
Das kann gut gemeint sein.
Es kann aber auch darum gehen,
die eigene Meinung
als die vieler anderer dastehen zu lassen.
Den Stummen, den Ungehörten
eine Stimme geben:
Dabei kann es letztlich
nicht darum gehen,
für sie zu sprechen.
Sondern vielmehr alles dafür zu tun,
dass sie selbst sich äußern,
dass sie selbst sprechen können.
   
Was dann geschieht, ist alltäglich.
Jesus fordert die Menschen auf,
nichts von dem zu sagen,
was sie gesehen haben.
Und das führt – wie immer – dazu,
das davon erst recht erzählt wird.
Am Ende heißt es:
„Er hat alles wohl gemacht!“
Das erinnert an die Schöpfungsgeschichte
im ersten Buch Mose, der Genesis:
„Und Gott sah alles, was er gemacht hatte,
und siehe, alles war sehr gut.“
„Er hat alles wohl gemacht“.
Wenn das die Menschen hier sagen,
hoffen sie, dass es mit
und durch Jesus wieder so sein soll:
Alles ist sehr gut.
Eine weitere Erinnerung
an die Geschichte Gottes
mit den Menschen
schwingt dann in den Worten mit:
„Die Tauben macht er hören
und die Sprachlosen reden!“
Das erinnert an Worte
aus dem Buch des Propheten Jesaja
über das Kommen des Messias:
„Dann werden
die Augen der Blinden aufgetan
und die Ohren der Tauben geöffnet werden.“
   
Diese Hoffnung erfüllt sich
in der Erzählung an einem Menschen.
‚Diese Hoffnung hat mit Jesus Christus
neue Nahrung bekommen.
Diese Hoffnung kann uns tragen
auch und grade
in unserer oft hoffnungsarmen Gegenwart.

So wünsche ich Ihnen
ein hoffnungsfrohes und fröhliches Andreasfest
und eine gesegnete Woche.
Jürgen-Peter Lesch

 
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