St. Vincenz zu Altenhagen I

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Andacht für die Woche vom 27.12. bis 2.1.2021

27.12.2020

Andacht für die Woche vom 27.12. bis 2.1.2021
Verfasser:  Jürgen-Peter Lesch  
Pastor in Ruhe (Springe – früher Pastor der EKD in Hannover)

„Bereitet dem Herrn den Weg:
denn siehe, der Herr kommt gewaltig.“
(Jesaja 40,3.10)

Die ständigen und von allen Seiten wiederholten Mahnungen
zu Vorsicht und Rücksicht erinnern
an das Sprichwort vom „Prediger in der Wüste“.
Der Ausdruck meint jemand, der mahnt und warnt,
ohne Gehör zu finden; jemand, der tauben Ohren predigt.
Denn in der Wüste gibt es niemanden,
der die Worte hört oder auf sie hört.
Wir sind nicht in der Wüste.
Wir hören jeden Tag die ermahnenden
und schon fast flehenden Worte,
selbst vorsichtig zu sein
und anderen gegenüber Rücksicht zu üben.
Doch die Mahnung führen offenbar nicht dazu,
dass sich die Situation bessert.

     Das Wort vom Prediger oder Rufer in der Wüste
geht zurück auf den Satz,
mit dem der Wochenspruch eingeleitet wird.
Allerdings heißt es bei Jesaja:
„Es ruft eine Stimme:
In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg,
macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott“.
Das von einem Weg die Rede ist,
der in der Wüste und in der Steppe gebahnt wird,
macht durchaus Sinn.

    Aber woher kommt dann
der sprichwörtliche „Prediger in der Wüste“?
Ganz einfach: Im Neuen Testament
wird der Satz aus dem Buch Jesaja
nicht nach dem hebräischen Text ins Griechische übersetzt.
Sondern es wird die griechische Übersetzung
des Jesaja-Textes (aus der Septuaginta) übernommen,
die in den christlichen Gemeinden vorlag.
So heißt es übereinstimmend
in Matthäus 3,3; Markus 1,3 und Lukas 3,4:
„Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste.“
Im zweiten Satz gibt es dann leichte Unterschiede:
„Bereitet dem Herrn den Weg
und macht eben seine Steige!“
oder „Bereitet den Weg des Herrn,
(und) macht seine Steige eben!“
Alle drei Evangelien sehen in dem „Prediger in der Wüste“
Johannes den Täufer, der mit seinen Predigten
und seiner Taufe den Weg für Jesus Christus vorbereitet.
Das wird im Evangelium nach Johannes
dann ganz deutlich gesagt:
„Er (Johannes der Täufer) sprach:
»Ich bin die Stimme eines Predigers in der Wüste:
Ebnet den Weg des Herrn!«,
wie der Prophet gesagt hat.

     Johannes der Täufer predigt in der Wüste
allerdings nicht vergeblich.
Und er spricht auch nicht vor tauben Ohren.
Ganz im Gegenteil: Die Taufe durch Johannes
ist der Anfang des öffentlichen Auftretens
und Wirkens von Jesus.
Damit steht Johannes
am Anfang der Verkündigung des Evangeliums,
der Guten Botschaft von der Zuwendung Gottes
zu den Menschen.
Mit der Taufe von Jesus durch Johannes
wird das Wirklichkeit,
was mit der Geburt von Jesus verheißen,
versprochen worden ist:
Eine veränderte Welt,
die auf Glauben, Hoffnung und Liebe beruht,
und in der Gerechtigkeit und Frieden herrschen.

    Zurück zum Wochenspruch
aus dem Buch des Propheten Jesaja.
Diese Aufforderung „Bereitet dem Herrn den Weg“
muss in Zusammenhang mit dem Beginn des Kapitels
gelesen werden: „Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott“.
Der Trost - hier und jetzt und heute –
das ist wichtig.
Inzwischen erleben wir doch,
dass Aufforderungen allein kein Tun,
keine Verhaltensänderung bewirken.
Gebote allein reichen nicht aus.
Dazu passt, was Luther in seiner Schrift
„Von der Freiheit eines Christenmenschen“ sagt:
„Die Gebote lehren
und schreiben uns mancherlei gute Werke vor,
aber damit sind sie noch nicht geschehen.
Sie weisen wohl, sie helfen aber nicht,
lehren, was man tun soll,
geben aber keine Stärke dazu.“(These 8)
     Das ist eine richtige und wichtige Beobachtung:
Gebote lehren, was man tun soll,
geben aber keine Stärke dazu.

Doch das brauchen wir zurzeit ganz besonders:
gegenseitiges stärken und einander Mut machen!
Es hilft nur wenig,
auf ein unbestimmtes und unsicheres Morgen zu vertrösten:
Irgendwann wird es wieder besser werden.
Irgendwann wird das Schlimmste vorbei sein.
Es sollte uns doch gelingen,
jetzt und hier Mutmachendes zu tun und Trost zu geben.

     So steht auch bei Jesaja nicht die Aufforderung
„Bereitet dem Herrn den Weg“ am Anfang.
Das Kapitel beginnt mit den Worten:
„Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott.“
Und weiter heißt es:
„Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr,
dass ihre Knechtschaft ein Ende hat,
dass ihre Schuld vergeben ist;
denn sie hat die volle Strafe empfangen
von der Hand des Herrn für alle ihre Sünden.“
     Das sind starke Worte.
Denn die Trostbotschaft folgt ganz unvermittelt
auf die zuvor von Jesaja
an König Hiskia überbrachte Ansage,
dass die gesamte königliche Familie mit allen Schätzen,
die sie besitzt, nach Babylon deportiert werden wird.
Da scheint es keinen Platz für Hoffnung
und Zuversicht zu geben.

    Doch es lohnt sich, einmal genau hinzuschauen.
Die Stärke in dieser verzweifelten Situation
erwächst aus der starken Verbindung
zwischen dem Volk Israel und ihrem Gott.
In keinem anderen Abschnitt des Jesajabuches
ist so häufig die Formulierung
„euer Gott“ und „unser Gott“ zu finden.
Gegen eine trostlose Zukunft
in einer durch den Krieg beschädigten Stadt
setzt Gott ein erneutes „Ja“ zu seinem Volk.
Es geht um die Restauration der Stadt,
um die Erneuerung der Lebensverhältnisse.
„Bereitet den Herrn den Weg“ heißt schlicht:
Macht in eurem Herzen und in eurem Verstand
Platz für die gute Nachricht,
dass Gott euch auch und gerade in verzweifelten Situationen
nahe ist und euch tröstet.
Es geht darum, die Zukunft vorwegzunehmen
und schon jetzt im Blick zu haben
und daraufhin zu handeln,
was einmal sein soll und sein wird.

     Auch bei uns ist hier und jetzt
zuversichtliches und mutiges Handeln
und Reden gefragt –
nicht erst dann,
wenn das Corona-Virus auf dem Rückzug ist.
In Springe haben wir viele Beispiele dafür,
dass Menschen hier und jetzt handeln
und füreinander da sind.
Da ist zum Beispiel der Adventskalender,
der in unterschiedlichen Fenstern zu sehen ist.
Da ist die Musik in den Gottesdiensten,
die uns Kraft gibt,
die dunklen und trüben Tage zu ertragen.
Sie erinnert uns daran, dass Kunst der Versuch ist,
„durch Töne, Bilder, Worte die Wirklichkeit
aussehender zu machen
als Verlockung zum Lebenbleiben“.
Es gibt weiterhin die nachbarschaftliche Hilfe,
es gibt fast immer
einen rücksichtsvollen Umgang miteinander.
Und es gibt die kleinen freundlichen Überraschungen,
die etwas Farbe in den Alltag bringen.
All das ist besser,
als auf ein Ende der Beschränkungen zu hoffen
und immer wieder enttäuscht zu werden.

     Schließlich folgt im Wochenspruch eine Aufforderung,
die schon eine Zusage in sich trägt,
eine kurze Begründung.
Zu kurz – wie ich finde.
Der Vers beginnt nämlich:
„Siehe, da ist Gott der Herr!“
Und dann erst folgt der Satz aus dem Wochenspruch:
 „Er kommt gewaltig“.
Und weiter lesen wir: „und sein Arm wird herrschen.“
Im Hebräischen steht Gott der Herr am Anfang von Vers 10:
„siehe, Gott der Herr ist da,
er kommt als ein Starker und sein Arm wird herrschen“.
Gott der Herr kommt nach Jerusalem gewaltig,
als ein Starker.

Die Vorstellung vom starken, mächtigen Gott,
der die Geschicke der Menschen lenkt,
wurde und wird immer wieder umgedeutet.
Dafür gibt es aktuell
z.B. im Zusammenhang mit der Präsidentenwahl
in den Vereinigten Staaten genügend Beispiele.
Und deshalb ist etlichen Menschen
die Vorstellung von einem starken
und gewaltigen Gott suspekt.
Aber wenn davon die Rede ist,
dann geht es nicht darum,
dass ein starker Gott starke Menschen unterstützt
und so noch stärker macht.
Gottes Stärke kommt schwachen Menschen zugute.
So betet Judit zu Gott:
„Denn nicht in der Übermacht liegt deine Kraft,
und deine Herrschaft ruht nicht auf den Starken,
sondern du bist ein Gott der Erniedrigten,
ein Helfer der Geringen,
ein Beistand der Schwachen,
ein Beschützer der Verachteten
 und ein Retter der Hoffnungslosen!“
(Judit 9,11 – Lutherbibel 2017).

     Und es gibt die andere Seite Gottes:
Im Neuen Testament wird erzählt,
dass Jesus in Jerusalem einzieht:
„Sagt der Tochter Zion:
Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig
und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen,
dem Jungen eines Lasttiers.“ (Matthäus 21,5)
Auch dies ist ein Zitat aus der Hebräischen Bibel,
unserem Alten Testament.
Es steht im Buch des Propheten Sacharja:
„Du, Tochter Zion, freue dich sehr,
und du, Tochter Jerusalem, jauchze!
Siehe, dein König kommt zu dir,
ein Gerechter und ein Helfer,
arm und reitet auf einem Esel,
auf einem Füllen der Eselin.“ (Sacharja 9,9).

    Und damit sind wir ganz nah
bei Advent und Weihnachten,
bei der Geburt von Jesus.
„Tochter Zion, freue dich“,
„Tröstet, tröstet mein Volk!
und „Bereitet dem Herrn den Weg“ –
das gehört zusammen.
     In die Adventszeit gehört die helle Freude darüber,
dass Gott zu uns Menschen gekommen ist
und immer neu kommt.
In die Adventszeit gehört die Hoffnung,
dass mit Jesus Christus ein Tröster
und Helfer unter uns ist,
der uns Mut macht,
auch einander ein Trost zu sein und zu helfen.
Und zur Adventszeit gehört der Versuch,
die Steine aus dem Weg zu räumen,
die wir Gott immer wieder vor die Füße werfen,
wenn er zu uns kommen und unter uns sein will.
Bei all dem sind wir Gott sei Dank nicht allein,
sondern können uns aufgehoben fühlen
und wissen in der Gemeinschaft
aller Christinnen und Christen auf unserer Erde.

Amen.

 
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