St. Vincenz zu Altenhagen I

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Andacht für die Woche vom 20. Dezember bis 26. Dezember

19.12.2020

Andacht für die Woche vom 20. Dezember bis 26. Dezember
Verfasser:  Wilhelm Niedernolte
Superintendent in Ruhe
(Eldagsen)

„Freut euch in dem Herrn allewege.
Und abermals sage ich: Freuet euch! Der Herr ist nahe!“

(Philipper 4,4.5b – Wochenspruch für den 4. Advent und die Zeit bis Weihnachten

Liebe Leserin,

lieber Leser,

Wissen Sie, was eine „paradoxe Intervention“ ist?
Dieser Begriff aus der Psychotherapie
meint die Reaktion eines Menschen,
die genau das Gegenteil tut von dem,
was man erwartet.
     Ein Beispiel: Ein Patient wird
wegen einer Angststörung behandelt.
Er erwartet durch die Therapie
eine Verringerung seiner Angst,
oder dass er wenigstens
mit seiner Angst umgehen kann.
Doch der Therapeut
gibt als Aufgabe bis zur nächsten Sitzung mit:
„Lassen Sie die Angst einfach kommen
und wehren Sie sich nicht dagegen.
In der nächsten Sitzung sprechen wir darüber,
was das mit Ihnen gemacht hat.

Eine paradoxe Intervention
oder Anweisung ist unerwartet,
erscheint vielleicht sogar widersinnig,
kann aber auch sehr hilfreich sein.

     Seit einem dreiviertel Jahr
müssen wir mit der Corona – Pandemie umgehen,
für viele eine Achterbahnfahrt der Gefühle
zwischen Zuversicht und Verzweiflung.
Der Blick auf das bevorstehende Weihnachtsfest
ist genauso ambivalent.
Werden wir besuchen
und besucht werden dürfen?
Werden die Zahlen der Neuinfizierten
und der an Corona Gestorbenen
endlich zurückgehen?
Oder werden wir alle
zwangsweise unter Quarantäne gestellt werden?
Wir halten Ausschau
nach einem ermutigenden Wort lieber Menschen,
das uns in dieser Situation trägt
und wenigstens über das Telefon
 eine Nähe zu uns herstellt,
die wir so dringend brauchen.
     Ist der Spruch für diese Woche
eine solche Ermutigung?

Auf den ersteh Blick sicher nicht.
Statt Verständnis, Solidarität und Ermutigung

lesen wir:  
„Freut euch! Allewege.
Immer. Freut euch!
     Wenn das keine paradoxe Intervention ist! 
Darf man überhaupt Menschen,
die von der Pandemie betroffen sind, sagen:
„Freut euch!“

Das war es auch damals,
als Paulus diesen Brief
aus dem Gefängnis schrieb
an die Christen in Philippi.
Wie kann er zur Freude ermutigen,
 wo er doch selbst im Gefängnis sitzt?
Er kann es deswegen,
weil sein Glaube
stärker ist als das Gefängnis:
„Freut euch im Herrn allewege.“
Freut euch, weil ihr zum Herrn gehört.
Freut euch, weil der Herr nahe ist,
schreibt er.
Dass Christus, der Herr, nahe ist,
verstanden die Christen
damals in doppelter Hinsicht:
Er ist zeitlich nahe.
Er wird bald wiederkommen
und uns aus dieser Welt erlösen.
Und: Er ist räumlich nahe.
Er ist bei uns, unsichtbar und doch spürbar.
Er ist uns nahe.
Er sitzt mit Paulus in seiner Gefängniszelle,
so dass Paulus und seine Mitgefangenen,
wie die Apostelgeschichte
von einem anderen Gefängnisaufenthalt berichtet,
sogar singen
und Gott mit lauter Stimme loben können.
Paulus freut sich,
dass er für Christus leiden muss
und leiden darf.
Dadurch weiß er nämlich:
Ich bin auf der richtigen Seite.

     Kann man auch etwas tun
im Angesicht der Katastrophen und Gefängnisse?
Sich freuen, weil der Herr nahe ist,
ist die eine Sache.
     Aber dabei kann es doch nicht bleiben,
und dabei bleibt es auch nicht.
Dazu schreibt Paulus den Christen in Philippi
dreierlei im weiteren Verlauf unseres Wochenspruchs:

Alle Menschen sollen merken,
wie gütig ihr seid.
In alten Lutherübersetzungen steht an dieser Stelle:
Eure Lindigkeit lasst kund sein allen Menschen. 
Das klingt heute so verstaubt,
dass es fast schon wieder lustig ist.
Macht nichts.
Ich finde, es ist ein schönes Wort,
denn es steckt darin das andere Wort „lindern“.
Lindigkeit ist der Wille und die Fähigkeit,
schlimme Dinge zu lindern,
Schmerzen und die Folgen falscher Entwicklungen
zu lindern.
Heute sprechen wir stattdessen von Güte.
Güte ist eine Schwester der Freude im Herrn.

     Weiter schreibt Paulus:
Macht euch keine Sorgen.
Anders als die Güte ist die Sorge
nicht die Schwester der Freude,
sondern das genaue Gegenteil von Freude.
Unsere Freude in Christus hat also auch Feinde.
Eine der Feindinnen ist die Sorge.
Unsere Sorgen sind wahrscheinlich
teilweise berechtigt und teilweise unberechtigt.
Die Schwierigkeit im Umgang mit unseren Sorgen
besteht darin, dass sie vernünftigen Argumenten
nicht zugänglich sind.
Es gibt kein Rezept gegen die Sorgen,
das für alle wirksam ist.
Mir scheint die Dankbarkeit
der wirksamste Schutz vor Sorgen zu sein.
Vielleicht hilft es,
sich selbst einmal Rechenschaft zu geben,
eine Tabelle mit zwei Spalten anzulegen.
Überschrift der linken Spalte:
Darüber mache ich mir Sorgen;
Überschrift der rechten Spalte:
Dafür bin ich dankbar.
Ich bin sicher, die Sorgenkinder werden erstaunt sein,
wie viel in der rechten Spalte steht.
Das löscht die linke Spalte mit den Sorgen nicht,
aber es bildet ein Gegengewicht,
das Gewicht der Dankbarkeit,
das unsere Wahrnehmung
ins Gleichgewicht bringen kann.

     Paulus schließt diesen Teil seines Briefes
mit einem Segen:
Und der Friede Gottes,
der höher ist als alle Vernunft,
bewahre eure Herzen und Sinne
in Christus Jesus.
Der Friede Gottes, der jede Vorstellung übertrifft,
soll eure Herzen und Gedanken behüten.
In der Gemeinschaft mit Jesus Christus
soll er sie bewahren.

     Er begann seine Worte
mit einer paradoxen Intervention
und endet mit dem Segenswunsch
nach Gottes Frieden.
Damit ist die Paradoxie nicht wegdiskutiert.
Sie besteht immer noch,
aber sie steht nun unter dem Frieden Gottes.

Deswegen feiern wir in diesem Jahr
erst recht Weihnachten
als paradoxe Intervention Gottes in unserer Welt.

 

Gesegnete Weihnachten wünscht Ihnen
Ihr Wilhelm Niedernolte

 
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