St. Vincenz zu Altenhagen I

Archiv

Andacht für die Woche vom 20. August bis 26. August 2023

21.08.2023

Andacht für die Woche
vom 20. August bis 26. August 2023
über das Evangelium
des 11. Sonntags nach Trinitatis
Verfasser:
Superintendent in Ruhe Wilhelm Niedernolte
(Eldagsen)
    

Lukas 18,9-14
Jesus sagte aber zu einigen,
die überzeugt waren,
fromm und gerecht zu sein,
und verachteten die andern,
dies Gleichnis:
Es gingen zwei Menschen
hinauf in den Tempel, um zu beten,
der eine ein Pharisäer,
der andere ein Zöllner.
Der Pharisäer betete
bei sich selbst so:
Ich danke dir, Gott,
dass ich nicht bin
wie die andern Leute,
Räuber, Ungerechte, Ehebrecher
oder auch wie dieser Zöllner.
Ich faste zweimal in der Woche
und gebe den Zehnten von allem,
was ich einnehme.

Der Zöllner aber stand ferne,
wollte auch die Augen
nicht aufheben zum Himmel,
sondern schlug an seine Brust
und sprach:
Gott, sei mir Sünder gnädig!

Ich sage euch:
Dieser ging gerechtfertigt
hinab in sein Haus, nicht jener.
Denn wer sich selbst erhöht,
der wird erniedrigt werden;
und wer sich selbst erniedrigt,
der wird erhöht werden.

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

diese Geschichte
steht unter der Überschrift:
„Hochmut und Demut“.
Das sind auf den ersten Blick
verstaube Begriffe.
Für „Hochmut“ haben wir immerhin
noch ein Sprichwort:
„Hochmut kommt vor dem Fall“.
Aber wo kommt bei uns
der Begriff „Demut“ vor.
Vielleicht bei unserem Hund,
wenn wir ihn rufen und ihn zwingen,
eine Demutsgeste vor uns zu machen.
Demut ist bei uns
eher negativ besetzt.
Demut ist die Sache von Losern
oder von Opfern, aber nicht für uns,
meinen wir manchmal.
In der Bibel ist „Demut“
ein positiver Begriff,
Hochmut dagegen ein negativer.
Gott erwartet von seinem Volk,
dass es demütig vor ihm ist,
dass es seine Macht anerkennt
und nach seinen Geboten handelt,
auch wenn sie
manchmal unbequem sind.
Hochmut bedeutet in der Bibel,
dass die Menschen
Gott vom Thron stoßen
und sich an seine Stelle setzen wollen.
Unser Wort „Demut“
leitet sich ab
vom althochdeutschen Wort „Dienemut“.
Ich entwickle aus freien Stücken
den Mut zum Dienen,
mich einer guten Sache,
mich Gott unterzuordnen,
aus freien Stücken,
weil ich es für richtig halte,
weil es meinem Leben Ziel
und Inhalt gibt.
    Jesus erzählt in seiner Beispielgeschichte
von dem Hochmut des Pharisäers,
der Gott dafür dankt,
dass er ein so toller Kerl ist,
und der Gott mit dieser Art
der Selbstwahrnehmung
nicht überzeugen kann.
Und von dem Zöllner,
der sich vor Gott demütigt,
als er sagt:
Gott sei mir Sünder gnädig.
Und der mit dieser Haltung
Gottes Wohlwollen erwirbt.

Wo erleben wir
die Gnade der Demut
in unserem Leben?
Ich erinnere mich
an meine Zeit als junger Mann,
so Mitte zwanzig:
Das Abitur in der Tasche,
ein einigermaßen
erfolgreicher Theologiestudent,
mit einer tollen Freundin,
der späteren Ehefrau.
Ich war gesund,
Essen und Trinken schmeckte.
Ich konnte gut schlafen.
Was sollte mir schon passieren?
Ich hatte mein Leben im Griff.
Und dann wurde ich
zum ersten Mal Vater,
war mächtig stolz auf unsere Tochter.
Nach zwei Wochen kamen Mutter
und Kind nach Haus.
Und dann kam
die erste Nacht zu Haus.
Ich war gerade
in meiner ersten Tiefschlafphase.
Da hörte ich merkwürdige Geräusche
aus dem Kinderzimmer.
Das klang ein bisschen
wie eine heisere Krähe.
Bald wurde mir klar:
Das war keine Krähe,
das war meine Tochter,
die ihre Flasche Milch haben wollte.
Also raus aus dem warmen Bett,
hinein in die kalte Küche,
Baby auf den Arm genommen,
Flasche im Flaschenwärmer
gewärmt. Baby gefüttert,
aufs Bäuerchen gewartet,
Windel wechseln konnte unterbleiben,
 Baby und mich selbst
wieder hingelegt, weitergeschlafen
nach etwa 45 Minuten Unterbrechung.
Die erste Nacht fand ich
das noch ganz spannend,
die zweite auch,
die zwanzigste Nacht nicht mehr.
Bin ich deswegen im warmen Bett
in der ersten Tiefschlafphase
liegen geblieben? Natürlich nicht.
Ob mir das angenehm war
oder nicht, war in dem Moment
völlig unerheblich.
Alle Eltern mit Babys wissen,
wovon ich schreibe.
Das Kind hatte Hunger,
 und das war allemal wichtiger
als mein Schlaf,
genauso wie für meine Frau,
mit der ich mich
dann abgewechselt habe.
Ich habe mich unter das Verlangen
meines Kindes gedemütigt,
und würde es heute wieder tun,
denn auf solcher Demut lag Segen.
Ich habe von allen meinen Kindern
Demut gelernt, und dafür
bin ich ihnen sehr dankbar.
Meine Kinder haben mir
diese Lektion erteilt:
Wer solche elterliche Demut
nicht aufbringt oder aufbringen will,
nach dem Motto:
Ich bin jetzt erst Mal dran,
der und die sollte besser
ohne Nachwuchs bleiben,
weil er und sie ihren Kindern
die lebensnotwendige Gnade
der Demut vorenthält.

    Die Gnade der Demut hilft uns
nicht nur zwischen Gott und uns
oder im Umgang
von uns Menschen miteinander.
Sie ist auch die Voraussetzung
für den Frieden in der Welt.

Adressaten der Beispielgeschichte Jesu
sind „einige, die sich anmaßten,
fromm zu sein
und verachteten die andern“.
Jesus lobt den Pharisäer.
Er ist ein Vorbild
wegen seiner Demut vor Gott:
Gott sei mir Sünder gnädig,
sagt er. Jesus deutet
seine Beispielgeschichte so:
Wer sich selbst erhöht,
der wird erniedrigt werden,
und wer sich selbst erniedrigt,
der wird erhöht werden.
So ist es bei Gott.

Im Kindergottesdienst
und im Religionsunterricht
wurden wir dazu verleitet,
uns mit einem von beiden
zu identifizieren,
natürlich mit dem Zöllner,
wegen seiner Demut vor Gott.
    Das kann ich heute
so nicht mehr nachvollziehen.
Realistischerweise muss ich
im letzten Drittel meines Lebens einsehen:
Ich war und bin beides,
mal Zöllner, mal Pharisäer.

Mal bin ich überheblich
gegenüber denen, die nicht
dasselbe geschafft haben wie ich,
obwohl sie einen viel günstigeren
finanziellen und gesellschaftlichen Start
in ihrem Leben hatten als ich.
Wenn sie sich angestrengt hätten
und nicht so chaotisch gewesen wären,
ginge es ihnen besser als es ihnen geht,
denke ich manchmal.
Dann wieder bin ich
auch unsicher bei denen,
die erfolgreicher sind als ich,
intelligenter und einflussreicher.

Ich bin zugleich Pharisäer und Zöllner,
bin mir meiner Sache sicher und denke:
Eigentlich muss Gott mit mir zufrieden sein,
denn ich bemühe mich wirklich,
nicht nur ein anständiges Leben zu führen,
sondern auch die Verantwortung zu tragen,
die er mir gegeben hat.
Dann wieder denke ich:
Wird Gott mit mir zufrieden sein,
wenn er am Ende meiner Tage
Bilanz zieht?

Ich bin zugleich Pharisäer und Zöllner.
Und ich möchte,
dass sich die beiden miteinander vertragen,
denn ich brauche beide,
den Pharisäer in mir,
der mich nach Gott fragen lässt
in einer gottlosen Welt
und nach seinem Willen handeln lässt,
und ich brauche den Zöllner in mir,
damit der Lebensbaum des Pharisäers
nicht in den Himmel wächst.

    Beide brauchen aber
nicht nur einander,
sie haben auch Angst voreinander.
Der Pharisäer hat die Angst,
die Kontrolle über sein Leben
zu verlieren,
von anderen abhängig zu werden,
fremdbestimmt zu werden,
Einfluss und Macht zu verlieren,
die Welt auf ihren Untergang
zutreiben zu sehen.
Darum strengt er sich an,
bringt Leistung,
verlässt sich nur auf sich selbst,
macht Karriere,
damit seine Angst vor dem Scheitern
nicht zu groß wird.
Solchem Pharisäer sagt der Zöllner:
Hab keine Angst.
Gott sei dir Sünder gnädig.
Du kannst dein Leben
und die Welt nicht
vor dem Untergang bewahren,
du musst es aber auch nicht,
denn Gott wird es tun.
Also entspann dich;
freue dich, dass du etwas leistest
und lass es damit gut sein.

Der Zöllner in mir
hat dagegen die Angst,
sich auf eine Position festzulegen,
eindeutig zu sein.
Er fühlt sich in seinen Zweifeln
eigentlich ganz wohl,
denn wenn er sich nicht festlegt,
muss er auch nichts tun,
und wenn er nichts tut,
kann er auch nichts falsch machen,
und wenn er nichts falsch macht,
kann er auch Karriere machen.
Also lieber abwarten.
Solchem Zöllner sagt der Pharisäer:
Hab keine Angst vor der Eindeutigkeit.
Gott sei dir Sünder gnädig.
Er hat dir das Leben gegeben
und dir die Verantwortung
dafür übertragen.
Ordne dein Chaos,
bring Linie und Zielorientierung
in dein Leben.

    Pharisäer und Zöllner brauchen einander,
denn beide möchten gerechtfertigt
in ihr Haus gehen,
möchten vor Gott, vor sich selbst
und vor der Welt bestehen können,
möchten mit ihren Ängsten
umgehen können.
Jesus beginnt seine Geschichte
mit den Worten:
„Es gingen zwei Menschen
hinauf in den Tempel, um zu beten.“
Beide suchen und brauchen Gottes Nähe,
genauso wie wir,
seien wir nun Pharisäer
oder Zöllner oder beides.
Gott hat uns versprochen,
sich von uns finden zu lassen.
Das ist unser Glaube.


Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit.

 Wilhelm Niedernolte

 
Powered by CMSimpleBlog
nach oben