St. Vincenz zu Altenhagen I

Archiv

Andacht für die Woche vom 18. bis 24. Dezember 2022 (Heiligabend)

22.12.2022

Andacht für die Woche
vom 18. bis 24. Dezember 2022 (Heiligabend)
zum Wochenlied
„Nun jauchzet, all ihr Frommen“ (EG 9)
von Pfr. i.R. Jürgen-Peter Lesch


Weihnachten und Ostern gehören zusammen

Liebe Leserin, lieber Leser,
die letzte Woche der Adventszeit hat begonnen.
Vielleicht ist es gut,
dass wir in diesem Jahr
etwas mehr Zeit als sonst haben,
uns auf das Weihnachtsfest vorzubereiten.
Möglicherweise kann das dazu beitragen,
die letzten Tage vor dem Fest
ein wenig gelassener
als in den Jahren zuvor anzugehen.
Das heißt nun nicht,
die Augen und Ohren vor dem Geschehen
hier vor Ort, in unserem Land,
in Europa und auf der Erde zu verschließen.
Doch es kann bedeuten,
das Geschehen vor dem Hintergrund
der Geburt von Jesus
besser einordnen zu können.
Was ist wirklich wichtig,
was sind lediglich Aufreger-Themen
und was soll uns schließlich ablenken
von dem, was gegenwärtig geschieht?
    In der letzten Woche habe ich erlebt,
wie Menschen mit Stress-Situationen
gelassen umgehen können.
Da baut sich in der Postfiliale
langsam und stetig eine Schlange
mit mehr als zehn Kundinnen
und Kunden auf.
Ein Schalter ist zeitweise nicht besetzt,
weil ein Mitarbeiter versucht,
die Rücksendungen zu verstauen,
die vor Weihnachten in Massen anfallen.
Und am zweiten Schalter
steht eine ältere Dame mit FFP2-Maske,
die mehrere Anliegen auf ihrem Zettel hat.
Schließlich hat sie noch ein Paket abzuholen,
weil der Postbote nicht bei ihr geklingelt habe,
wie sie sagt.
Sie muss ihren Personalausweis vorzeigen
und fragt: „Muss ich dazu die Maske abnehmen?“
Da erscheint ein Lächeln
auf den Gesichtern der Menschen.
Ein paar Sekunden lang treten Ärger,
Ungeduld und Stress in den Hintergrund.
Ein paar Sekunden lang
bilden alle eine heitere
und aufgeschlossene Gemeinschaft.
Die ältere Dame
muss dann nicht ihre Maske abnehmen
und kann mit ihrem Paket die Filiale verlassen.
Die Menschenschlange rückt vor,
doch die Atmosphäre
hat sich ein wenig verändert.
Man ist ein wenig mehr entspannt,
freundlich und rücksichtsvoll.
    In solchen Momenten scheint auf,
wie unser Leben,
unser Zusammenleben sein könnte.
Und von solchen Momenten
ist im Wochenlied die Rede.

Nun jauchzet, all ihr Frommen,
zu dieser Gnadenzeit,
weil unser Heil ist kommen,
der Herr der Herrlichkeit,
zwar ohne stolze Pracht,
doch mächtig, zu verheeren
und gänzlich zu zerstören
des Teufels Reich und Macht.

Der Textdichter Michael Schirmer
erinnert in seinem Lied aus dem Jahr 1640
an den Einzug
von Jesus Christus in Jerusalem,
den wir immer am Palmsonntag feiern.
Die Menschen erleben an diesem Tag
einen Moment des Glückes.
Sie sind erfüllt von Hoffnung.
Da kommt er, der Retter,
der Messias, der König,
der alles zum Guten wenden wird.
Was die Menschen am Straßenrand
nicht sehen wollen,
aber doch ahnen könnten,
ist, dass dieser Retter
nicht mit Macht und Gewalt kommt.
Er ist nicht der erwartete mächtige Herrscher.

Er kommt zu uns geritten
auf einem Eselein
und stellt sich in die Mitten
für uns zum Opfer ein.
Er bringt kein zeitlich Gut,
er will allein erwerben
durch seinen Tod und Sterben,
was ewig währen tut.

Kein Zepter, keine Krone
sucht er auf dieser Welt;
im hohen Himmelsthrone
ist ihm sein Reich bestellt.
Er will hier seine Macht
und Majestät verhüllen,
bis er des Vaters Willen
im Leiden hat vollbracht.
Jesus Christus,
dessen Geburt wir Weihnachten feiern,
kommt nicht stolz und prächtig,
und doch ist er mächtig.
Er kann und wird
des Teufels Macht zerstören.
Er reitet auf einem jungen Esel
und kommt nicht in Prunk und Pracht.
Jesus will seine Macht verhüllen.
Es geht ihm nicht darum, zu kämpfen
und Menschen zu opfern,
sondern er wird selbst zum Opfer werden
für die Menschen und für ihr Heil.
Das hat schon jetzt Bedeutung für uns,
für unser Zusammenleben,
für unsere Gesellschaft.
Es ist eine deutliche Botschaft,
die lautet:

Ihr Mächtigen auf Erden,
nehmt diesen König an,
wollt ihr beraten werden
und gehn die rechte Bahn,
die zu dem Himmel führt;
sonst, wo ihr ihn verachtet
und nur nach Hoheit trachtet,
des Höchsten Zorn euch rührt.

Ihr Armen und Elenden
in dieser bösen Zeit,
die ihr an allen Enden
müsst haben Angst und Leid,
seid dennoch wohlgemut,
lasst eure Lieder klingen,
dem König Lob zu singen,
der ist eu‘r höchstes Gut.
Die Botschaft geht zuerst an die Mächtigen.
Ursprünglich hatte Schirmer geschrieben
„Ihr großen Potentaten“.
Genau die sind gemeint,
die selbstherrlichen Mächtigen,
die aufgeblasen auftreten
und meinen, dass ihnen
niemand etwas anhaben kann.
Leider sind diese Herrscher
oft offenbar beratungsresistent,
oder die, die sie beraten sollten und müssten,
halten sich fein zurück und warten ab.
Doch das letzte Wort
haben eben nicht die Mächtigen auf Erden,
sondern Gott.
Den Armen und Elenden
 wird hier „zugemutet“,
Gott ein Loblied zu singen.
Es kann der Eindruck entstehen,
dass Schirmer die Not der Menschen
in seiner Zeit
während des Dreißigjährigen Krieges,
in Zeiten der Pest und des Hungers
nicht wahrnehmen will oder nicht ernst nimmt.
Doch vielleicht ist das ganz anders gemeint.
Wir wissen:
Wer im eigenen Leid, in der eigenen Angst,
in der Hoffnungslosigkeit gefangen ist,
der wird früher oder später aufgeben.
Dagegen heißt es im Lied:
„Lasst eure Lieder klingen“.
Die Kraft der Lieder
können wir zur Weihnachtszeit
besonders spüren.
Die Musik öffnet uns
für die Freudenbotschaft der Geburt von Jesus.
Dabei geht es nicht darum,
uns ein paar schöne Stunden zu machen
und die Sorgen zu vergessen.
Vielmehr geht es darum,
uns durch unser Singen und Loben
und Preisen frei dafür zu machen,
dass wir mutig und zuversichtlich
gegen Angst, Sorge und Verzweiflung angehen.
Nicht, weil wir plötzlich stark geworden wären,
sondern vielmehr deshalb,
weil wir uns Gottes Zuwendung
und seiner Barmherzigkeit
gewiss sein können.

Er wird nun bald erscheinen
in seiner Herrlichkeit
und all eu‘r Klag und Weinen
verwandeln ganz in Freud.
Er ist’s, der helfen kann,
halt’ eure Lampen fertig
und seid stets sein gewärtig,
er ist schon auf der Bahn.

Ja, noch ist der Herr der Herrlichkeit
nur ohne stolze Pracht
und nicht in seiner Herrlichkeit erschienen.
Es steht noch aus,
wie er am Ende alles wandeln wird.
Doch der Wandel
hat im Stall von Bethlehem begonnen.
Zweitausend Jahre
nach der Geburt des Gottessohnes
wäre ein lautes Singen, ein Jauchzen,
das das Weinen vergessen hat, zynisch.
Ganz falsch wäre es auch,
das tatkräftige Warten zu verlernen
und das Bereithalten der Lampen
für den Einzug des Auferstandenen
zu vergessen.
Auf der anderen Seite liefe ein Warten
ganz ohne Freude über das Weihnachtsfest
und ohne Singen und Musik
auf die Dauer ins Leere.
Beides gehört zusammen,
beides brauchen wir –
und das nicht nur zur Weihnachtszeit.

Ich wünsche Ihnen eine letzte Adventswoche
in froher Erwartung und zuversichtlicher Freude.
Jürgen Peter Lesch


Verfasser des Liedtextes
ist Michael Schirmer.
Er wurde im Jahr 1606 in Leipzig geboren,
in der Thomaskirche in Leipzig getauft
und besuchte die Thomasschule.
Später studierte er an der Leipziger Universität,
wo er 1630 die Magisterprüfung ablegte,
die ihn zum Lehrberuf befähigte.
Im Jahr 1636 wurde er als Subrektor
an das Gymnasium zum Grauen Kloster
in Berlin berufen.
Dort arbeitete er –
von 1651 an als Konrektor –
bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1668.
In einer biografischen Notiz über Schirmer
ist von einer im Alter zunehmenden
„Gemütsblödigkeit“ die Rede.
Heute würde das als Depression bezeichnet.
Schirmer wird aufgrund dieser Erkrankung
auch „der deutsche Hiob“ genannt.
Er verstarb 1673 in Berlin
    Auch der Text des Gesangbuch-Liedes
„O Heilger Geist, kehr bei uns ein“ (EG 130)
stammt von Michael Schirmer.
Weniger bekannt sind
die von ihm stammenden Texte der Lieder
„Der Höllen Pforten sind zerstört“,
„O Gott, der du das Firmament
mit Wolken tust bedecken“
und das Bestattungslied
„Nun lieg ich armes Würmelein
und ruh in meinem Kämmerlein.
Ich bin durch einen sanften Tod
entgangen aller Angst und Not“.
In diesen Liedern sind Anklänge
an Johann Heermann unverkennbar,
und in seinem Lied „O Heilger Geist“
hat Schirmer ganze Verse wörtlich
aus Liedern dieses schlesischen Dichters
übernommen.

Die Melodie des Liedes
stammt von Johann Crüger,
geb. 1598 in Groß-Breesen
(heute ein Ortsteil von Guben
in der Niederlausitz),
gest. 1662 in Berlin.
Es wird vermutet,
dass Crüger sorbische Wurzeln hatte,
gesichert ist dies bislang nicht.
Nach dem Besuch der Lateinschule in Guben
begab sich Krüger auf Wanderschaft.
Über Sorau und Breslau
gelangte er nach Regensburg,
wo er eine erste musikalische Ausbildung
bei Paulus Homberger (1560–1634) erhielt.
Auf der weiteren Wanderung
kam er 1615 nach Berlin,
wo er sich am Gymnasium zum Grauen Kloster
auf das Theologiestudium vorbereitete.
Ab 1620 studierte er
Theologie an der Universität Wittenberg.
Von 1622 bis zu seinem Tode im Jahr 1662
war er Lehrer am Gymnasium Zum Grauen Kloster
und gleichzeitig Kantor
der St.-Nicolai-Kirche in Berlin.
Johann Crüger ist der Schöpfer
zahlreicher Konzertwerke
und musikpädagogischer Schriften.
1643 lernte er den Kirchenliederdichter
Paul Gerhardt kennen,
für den er verschiedene geistliche Lieder vertonte.
1640 gab er die Liedersammlung
„Newes vollkömliches Gesangbuch“ heraus.
Ab der zweiten Ausgabe von 1647
erschien sie unter dem Titel
„Praxis Pietatis Melica“
(Übung der Frömmigkeit in Gesängen),
die zum bedeutendsten
evangelischen Kirchenliederbuch
des 17. Jahrhunderts
im deutschsprachigen Raum wurde.
Im Jahr 1649 erschienen
die „Geistlichen Kirchen-Melodien“,
konzipiert als Begleitbuch
zu der ein Jahr zuvor erschienenen,
heute verlorenen dritten Auflage
der „Praxis Pietatis Melica“.
Die kirchenmusikalische Bedeutung
der Geistlichen Kirchen-Melodien
liegt vor allem darin,
dass Crüger hier einen neuen,
instrumental unterstützten Typus
des mehrstimmigen Gemeindechorals
erschuf.
Im aktuellen Evangelischen Gesangbuch
finden sich, je nach Regionalausgabe,
mindestens 18 seiner Melodien
oder Chorsätze, darunter
„Wie soll ich dich empfangen“ (EG 11),
„Fröhlich soll mein Herze springen“ (EG 36),
„Auf, auf, mein Herz mit Freuden“ (EG 112),
„Schmücke dich, o liebe Seele“ (EG 218)
und „Lobet den Herren alle, die ihn ehren“(EG 447).
Dazu kommen etliche Melodiesätze
z.B. für die Lieder EG 320, 321, 322, 324

 
Powered by CMSimpleRealBlog
nach oben