St. Vincenz zu Altenhagen I

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Andacht für die Woche vom 17.9. bis 23.9.2023

16.09.2023

Andacht für die Woche
vom 17.9. bis 23.9.2023
über das Evangelium
des 16. Sonntags in der Trinitatiszeit
Verfasser:
Pfarrer in Ruhe Jürgen-Peter Lesch
(
Springe – früher Pfarrer der EKD in Hannover)

Evangelium nach Matthäus 6,25-34
„Vom Sorgen und vom Suchen“


Jesus sprach: Darum sage ich euch:
Sorgt euch nicht um euer Leben,
was ihr essen und trinken werdet;
auch nicht um euren Leib,
was ihr anziehen werdet.
Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung
und der Leib mehr als die Kleidung?
Seht die Vögel unter dem Himmel an:
Sie säen nicht, sie ernten nicht,
sie sammeln nicht in die Scheunen;
und euer himmlischer Vater
ernährt sie doch.
Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie?
Wer ist aber unter euch,
der seiner Länge eine Elle zusetzen könnte,
wie sehr er sich auch darum sorgt?
Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung?
Schaut die Lilien auf dem Feld an,
wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht,
auch spinnen sie nicht.
Ich sage euch, dass auch Salomo
in aller seiner Herrlichkeit
nicht gekleidet gewesen ist
wie eine von ihnen.
Wenn nun Gott
das Gras auf dem Feld so kleidet,
das doch heute steht
und morgen in den Ofen geworfen wird:
Sollte er das nicht viel mehr für euch tun,
ihr Kleingläubigen?
Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen:
Was werden wir essen?
Was werden wir trinken?
Womit werden wir uns kleiden?
Nach dem allen trachten die Heiden.
Denn euer himmlischer Vater weiß,
dass ihr all dessen bedürft.
Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes
und nach seiner Gerechtigkeit,
so wird euch das alles zufallen.
Darum sorgt nicht für morgen,
denn der morgige Tag
wird für das Seine sorgen.
Es ist genug,
dass jeder Tag seine eigene Plage hat.

(Lutherbibel 2017)

Liebe Leserin, lieber Leser!
Im Jahr 1956 schrieb Ingeborg Bachmann
das Gedicht „Reklame“:

Wohin aber gehen wir

ohne sorge sei ohne sorge

wenn es dunkel und wenn es kalt wird

sei ohne sorge

aber

mit musik

was sollen wir tun

heiter und mit musik

und denken

heiter

angesichts eines Endes

mit musik

und wohin tragen wir

am besten

unsre Fragen und den Schauer aller Jahre

in die Traumwäscherei ohne sorge sei ohne sorge

was aber geschieht

am besten

wenn Totenstill

eintritt

Reklame, Werbung übertönt
„heiter und mit Musik“ die Sorgen.
Sie zerreißt existentielle Fragen nach dem Sinn
und nach dem, was am Ende sein wird.
Fast 70 Jahre nachdem Ingeborg Bachmann
dieses Gedicht geschrieben hat,
ist Werbung allgegenwärtig.
Sie ist einerseits subtiler geworden.
Sie zielt auf die Bedürfnisse des Einzelnen,
die sich aus seinen Klicks
in sozialen Medien ergeben.
Sie ist andererseits plakativer
und vor allem lauter geworden.
Noch immer aber trägt sie die Botschaft mit sich:
Sei ohne Sorge.
Nun stärker in der Richtung:
Wir befreien dich von deinen Sorgen,
mit unseren Produkten und Angeboten
entsorgen wir alles, was dich belastet.
    Bei aller Kritik
an den Versprechungen der Werbeindustrie –
solche kleinen „Entsorgungen“ sind wichtig.
Es sind kleine Ablenkungen
von der Vielzahl der täglichen Sorgen.
Und davon gibt es zurzeit immer mehr.
Da sind die persönlichen Sorgen
in der Beziehung, in der Familie,
in der Schule, am oder um den Arbeitsplatz.
Die Sorge um Sicherheit und Gesundheit.
Die Sorge darum,
wie und in welche Richtung
sich unsere Gesellschaft
und unser Wirtschaftssystem
entwickeln kann oder eben auch nicht.
    Dazu kommen die Sorgen
um die Menschen, die unter Kriegen
und Kriegsfolgen leiden.
Und die Sorgen um jene,
die den Folgen der Klimakrise
ganz besonders ausgesetzt sind.
Menschen, die unter den großen Bränden,
die in den letzten Wochen
auf mehreren Kontinenten gelitten haben
und noch leiden.
Menschen, die von Katastrophen
aufgrund unvorstellbarer Regenmengen
und Überschwemmungen betroffen sind.
Menschen, denen ein Erdbeben
alles genommen hat.
    Es gibt wirklich viele Gründe,
sich Sorgen zu machen.
Weil die vielen Sorgen
uns den Mut und die Kraft
und die Zuversicht nehmen können,
brauchen wir kleine und große Entsorgungen,
kleine und große Atempausen.
Das können Feste und Feiern sein,
Theater- und Musikveranstaltungen.
Alles, was mit Kunst zu tun hat.
Ist doch Kunst der Versuch,
durch Töne, Bilder, Worte
die Wirklichkeit aussehender zu machen
als Verlockung zum Lebenbleiben.
Es geht nicht darum,
die Sorgen zu vergessen.
Es geht vielmehr darum,
sie zumindest zeitweise
in den Hintergrund treten zu lassen,
um Kopf und Körper, Geist und Gemüt
frei zu bekommen,
damit wir neue Kraft, frischen Mut
und farbige Zuversicht schöpfen können.
    Darum geht es
in den Worten der Bergpredigt.
Jesus wendet sich hier zunächst
an seine Jüngerinnen und Jünger.
Er spricht zu denen,
die mit ihm unterwegs sind.
Für die sind die Sorgen um Essen
und Trinken und Kleidung wichtig.
Ein Dach über dem Kopf ist schön,
aber nicht dringend nötig.
Jesus bringt es auf einen Satz:
Das Leben ist mehr als die Nahrung
und der Leib ist mehr als die Kleidung.
„Sorgt euch nicht“ sagt Jesus
sechsmal in diesem kurzen Text.
Sorgt euch nicht, sondern sucht!
Er sagt: „Trachtet zuerst
nach dem Reich Gottes
und nach seiner Gerechtigkeit,
so wird euch das alles zufallen“.
Hier nimmt er zwei Bitten
aus dem Vaterunser auf: „
Dein Reich komme, dein Wille geschehe!“
    Jesus richtet seine Worte hier
nicht mehr nur an seine Jüngerinnen und Jünger,
sondern an und alle,
die wir versuchen, ihm nachzufolgen.
Sorgt nicht, sondern sucht!
Sucht danach, wie ihr mithelfen könnt,
dass Gottes Reich kommt.
Sucht danach, Gottes Gerechtigkeit
einen Weg in unserer Gesellschaft zu bahnen.
Verharrt nicht in der Sorge,
sondern sorgt stattdessen für alle,
die eurer Fürsorge bedürfen.
Sorgt für die Hungernden und Dürstenden,
die Nackten und Schutzbedürftigen,
die Obdach- und Wohnungslosen,
die Kranken und die Sterbenden.
Sucht nach den Verzweifelten und Mutlosen,
sucht nach denen,
denen ihre Sorge die Luft zum Atmen nimmt.
Versucht, etwas dazu beizutragen,
dass für alle diese Menschen
gesorgt werden kann.
Und vergesst dabei nicht,
auch für euch selbst zu sorgen.
    Sucht also auch nach dem,
was euch guttut.
Lasst euch dabei nicht
von den Alltagssorgen überwältigen.
    Ich schließe mit einigen Gedanken
von Martin Luther zu unserem Text:
„Unser Leben haben wir
immer in die zwei Stücke geteilt:
erstlich den Glauben,
der das Wesen ausmacht,
darnach die Liebe.
Der eine geht auf Gott,
die andere geht auf den Nächsten.
So führt ein Christenmensch
ein doppelt Leben.
Das eine sieht man nicht:
das ist der Glaube, den sieht Gott allein.
Das andere sieht man:
das ist die Sorge,
die aus der Liebe kommt.
Diese Sorge ist befohlen;
die Sorge aus Glauben
aber ist verboten.
Erstlich soll ich also glauben,
dass ich einen Gott habe.
Wenn ich aber glaube,
dass Gott für mich Sorge trägt,
dann kann ich mich
nicht um mich selber sorgen. …
Die Sorge aber,
die aus der Liebe kommt, ist befohlen.
Da soll ich die Güter wohl gebrauchen,
die Gott gegeben hat. …
Immer eins ums andre.
Gott sorgt für alles,
das ist die Sorge Gottes,
die man glaubt.
Aber dass ich dafür sorge,
wie andre kriegen,
was vorhanden ist an Gütern,
das ist die Sorge der Liebe. …
Gott spricht: arbeite, sorge nicht,
ich will dir’s geben.
Wenn er’s gegeben hat, dann sorge du,
dass du’s recht austeilst,
nicht, dass du es hast,
sondern dass deine Familie
und andere es haben.“
(D. Martin Luthers Evangelien-Auslegung,
Bd. 2, Das Matthäus-Evangelium,
hrsg. E. Mühlhaupt, Göttingen4, 1973, S 186f.)

Ich wünsche Ihnen, dass Sie etwas
von Gottes Fürsorge spüren
und erfahren können.
Ihr Jürgen-Peter Lesch

 
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