St. Vincenz zu Altenhagen I

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Andacht für die Woche vom 10.September bis 16.September 2023

08.09.2023

Andacht für die Woche
vom 10.September bis 16.September 2023

über das Evangelium
des 14. Sonntag nach Trinitatis
„Die zehn Aussätzigen“

Verfasser: Dr. Martin Luther
(aus: Martin Luther,
Evangelium von den zehn Aussätzigen
verdeutscht und ausgelegt“
aus dem Jahr 1521 -
hier gekürzt)

Evangelium des Lukas 17,11-19:
Und es begab sich,
als er nach Jerusalem wanderte,
dass er durch das Gebiet ‚
zwischen Samarien und Galiläa zog.
Und als er in ein Dorf kam,
begegneten ihm zehn aussätzige Männer;

die standen von ferne
und erhoben ihre Stimme und sprachen:
Jesus, lieber Meister,
erbarme dich unser!
Und da er sie sah,
sprach er zu ihnen:

Geht hin und zeigt euch den Priestern!
Und es geschah, als sie hingingen,
da wurden sie rein.
Einer aber unter ihnen,
als er sah, dass er gesund geworden war,
kehrte er um
und pries Gott mit lauter Stimme
und fiel nieder auf sein Angesicht
zu Jesu Füßen und dankte ihm.
Und das war ein Samariter.
Jesus aber antwortete und sprach:
Sind nicht die zehn rein geworden?
Wo sind aber die neun?
Hat sich sonst keiner gefunden,
der wieder umkehrte,
um Gott die Ehre zu geben,
als nur dieser Fremde?
Und er sprach zu ihm:
Steh auf, geh hin;
dein Glaube hat dir geholfen.

Dieses ganze Evangelium
ist eine einfache und leichte Historie
und Geschichte, die nicht
vielen Auslegens bedarf.

Aber wie einfach die auch ist,
so groß ist das Exempel,
das uns darin angezeiget wird.
In den Aussätzigen lehrt es uns glauben,
in Christus lehrt es uns lieben.
Nun ist aber Glauben und Liebe
das ganze Wesen
eines christlichen Menschen,
wie ich oft gesagt habe.
Der Glaube empfängt,
die Liebe gibt.
Der Glaube bringt den Menschen zu Gott,
die Liebe bringt ihn zu den Menschen.
Durch den Glauben
lässt er sich von Gott wohltun,
durch die Liebe
tut er den Menschen wohl.
Denn wer da glaubt,
der hat alle Dinge von Gott
und ist selig und reich.
Darum braucht er hinfort nichts mehr,
sondern alles, was er lebt und tut,
ordnet er seinem Nächsten
zunnutz und zugut
und tut demselben durch die Liebe
wie Gott ihm getan hat durch den Glauben,
als wenn er Gutes von oben schöpfte
durch den Glauben
und nach unten gäbe durch die Liebe…
Diese zwei Stücke,
den Glauben und die Liebe,
lasst uns nu in Christus
und den Aussätzigen sehen.

Zu ersten ist die Natur des Glaubens,
dass er sich steif
auf die Gnade Gottes verlässt.
und eine zweifellose gute Meinung
und Zuversicht zu ihm schöpft

Und denkt, Gott werde ihn ansehen
und nicht lassen.
Denn wo solche Meinung
und Zuversicht nicht ist,
da ist kein rechter Glaube,
kein rechtes Gebet
noch Suchen nach Gott.
Wo er aber ist,
da macht er kühn und mutig,
dass der Mensch seine Not
frei vor Gott hinzulegen
und mit Ernst
Hilf zu bitten wagt …
Darum ists nicht genug,
wenn du glaubst,
es sei ein Gott
und viele Worte betest,
sondern siehe hier an den Aussätzigen,
wie der Glaube gestaltet sein soll
und ohne alle Meister
recht fruchtbar beten lernt.
Du siehst hier, dass die Aussätzigen
eine gute Meinung von Christus
und eine tröstliche Zuversicht
zu ihm gefasst haben
und fest von ihm erwarten,
er werde sie gnädig ansehen …
Der rechte Glaube
aber zweifelt nicht
am rechten, guten,
gnädigen Willen Gottes,
darum ist sein Gebet stark
und fest wie der Glaube,
so dass Lukas nicht umsonst
die drei Stücke von ihm sagt:
sie liefen ihm entgegen,
sie standen
und sie erhoben ihre Stimme…
Mit den dreien
ist ihr starker Glaube gepriesen
und uns zum Exempel vorgehalten.

Die andere Art des Glaubens ist,
dass er nicht wissen
noch zuvor darüber versichert sein will,
ob er gnadenwürdig sei
und erhört werde.
So tun die Zweifler,
die nach Gott greifen
und ihn versuchen
wie ein Blinder nach der Wand tappt,
so tappen sie auch nach Gott
und wollten ihn gern zuvor fühlen
und gewiss haben,
dass er ihnen nicht entlaufen könne.
Denn sage mir:
wer hat diesen Aussätzigen
Brief und Siegel dafür gegeben,
dass Christus sie erhören werde?
Wo ist hier das Empfinden
und Fühlen seiner Gnade?
Wo ist Kundschaft, Wissenschaft
oder Sicherheit von seiner Gnade?
Nichts davon ist hier.
Was ist hier?
Ein frei Ergeben und fröhlich Wagen
auf seine unempfundene, unversuchte,
unerkannte Güte.
Da sind keine Fußstapfen,
darinnen sie spüren könnten,
was er tun wolle,
sondern allein seine bloße Güte wird angesehen
und macht in ihnen solch Vermuten und Wagen,
er werde sie nicht lassen.
Woher aber hatten sie
Erkenntnis seiner Güte?
Ohne Zweifel aus dem Gerücht und Wort:
sie hatten viel Gutes von ihm gehört,
aber doch noch nie selbst empfunden.
Denn Gottes Güte muss
durchs Wort verkündet
und so unversucht auf sie gebaut werden.

Die dritte Art des Glaubens ist,
dass er kein Verdienst vorträgt…
Der Glaube weiß von lauter Unverdienst
und verlässt sich bloß
auf die bloße, unverdiente Güte Gottes.
Denn der Glaube mag kein Werk
noch Verdienst neben sich leiden.
So ganz und gar
ergibt, wagt und schwingt er sich
in die Güte Gottes hinein,
zu der sich alles Guten versieht.
Vor dieser Güte kann er seine Werke
und Verdienste nicht beachten ..
Das beweisen diese Aussätzigen hier sehr fein,
die ohn alles Verdienen
sich der Gnade zu Christus versehen.
Was hätten sie ihm auch Gutes zuvor getan?
Hatten sie ihn doch nie gesehen,
geschweige ihm gedient.
Außerdem waren sie aussätzig.
Er hätte nichts mit Ihnen
und sie nichts mit ihm
zu tun haben können.
Darum stehen sie auch von fern,
weil sie ihre Unwürdigkeit wohl erkennen.
So steht auch der Glaube fern von Gott
und läuft ihm doch entgegen..
Denn er erkennt, dass er nichts hat,
worauf er sich verlassen kann
als seine hochberühmte und ausgerufene Güte.
Darum sieh hier zu:
wenn Gott am fernsten scheint,
so ist er am nächsten.

Dr. Martin Luther, 1521

 
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