St. Vincenz zu Altenhagen I

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Andacht für die Woche vom 10.Oktober bis 16.Oktober 2021

10.10.2021

Andacht für die Woche vom 10.Oktober bis 16.Oktober 2021
über den Wochenpsalm des 19.Sonntags nach Trinitatis
Psalm 32
Verfasser: Pfarrer in Ruhe Jürgen-Peter Lesch
(Springe – früher Pfarrer der EKD in Hannover)

Glücklich darf sich jeder schätzen,
dessen Vergehen vergeben werden,
dessen Sünden zugedeckt sind.
Glücklich zu preisen ist der Mensch,
dem der Herr die Schuld nicht anrechnet.
So täuscht er sich nicht über sich selbst.
Doch als ich meine Schuld verschwieg,
verloren meine Glieder jede Kraft.
Ich stöhnte den ganzen Tag.
Tag und Nacht spürte ich,
wie deine Hand mich niederdrückte.
Ich lag da wie ein Feld,
das die Sommerhitze ausgedörrt hat.
Doch dann gestand ich dir meine Sünden
und versteckte nicht länger meine Schuld.
Ich sagte: »Ich bekenne dem Herrn meine Vergehen!«
Da hast du die Schuld von mir genommen,
die ich auf mich geladen hatte.
Deshalb soll jeder Fromme zu dir beten,
wenn er in Bedrängnis gerät.
Wenn dann die Wellen hochschlagen,
wird ihn das Wasser nicht erreichen.
Du bist mein Schutz,
bewahrst mich vor Bedrängnis.
Du umgibst mich mit Menschen,
die meine Rettung bejubeln.
(Psalm 32,1-7 – BasisBibel 2021)

Zwei Wochen liegt die Bundestagswahl nun zurück.
Fast alle Wahlplakate sind inzwischen
abgehangen worden.
Und der Blick richtet sich jetzt wieder darauf,
was vor uns liegt
und welche Aufgaben in der nächsten Zeit
vordringlich angegangen werden müssen.
Der Wahlkampf dagegen
war über weite Strecken davon bestimmt,
zurückzuschauen
und Fehler beim politischen Gegner zu finden.
Und dann darauf zu warten,
wie die oder der andere
mit der „Aufdeckung“
von wirklichen oder vermeintlichen Fehlern
umgehen würde.


Fehler bei anderen aufdecken –
Schuld anderen Menschen zuweisen –
das fällt uns oft leicht.
Leichter jedenfalls, als eigene Fehler einzugestehen
oder sogar die Schuld für etwas auf sich zu nehmen.
Wie schwer es ist, eigene Schuld einzugestehen,
davon spricht der Beter 32. Psalms.
Er wird auch als der 2. Bußpsalm bezeichnet.
     „Buße“ kennen wir eher als Geldbuße,
die bei einer Ordnungswidrigkeit fällig wird.
Die Geldbuße ist dabei zu unterscheiden
von der Geldstrafe oder Geldauflage.
Die Buße ist also (noch) keine Strafe.
Im Grunde soll sie –
das gerät oft aus dem Blick –
zum Nachdenken über das eigene Tun
oder Unterlassen anregen.
Und sie soll dazu dienen,
einen Schaden auszugleichen.
So können Bußgelder
an gemeinnützige Vereinigungen
gespendet werden.
Schadenausgleich
 und „Anregung“ zum Nachdenken -
beides entspricht dem biblischen Verständnis
von Buße.
Zunächst meint Buße einen Ausgleich,
den ein Täter für von ihm verursachtes Unrecht
oder Leid leistet.
Es geht um den Versuch,
einen Schaden wiedergutzumachen.
Und es geht im biblischen Verständnis der Buße
noch um mehr.
Die wörtliche Übersetzung
des griechischen Wortes für Buße
im Neuen Testament lautet „Sinnesänderung“
oder „Umkehr“.
Der hebräische Ausdruck,
der hier im Psalm steht, lautet wörtlich „zudecken“
oder auch „sühnen“, „versöhnen“.
Das ist der Hintergrund
des etwas merkwürdigen Ausdrucks
am Beginn des Psalms:
„dessen Sünden zugedeckt sind“.
     Auch die Sühne ist der Versuch,
einen Schaden wiedergutzumachen.
Damit verbunden ist die „Sinnesänderung“,
die Einsicht in die eigene Schuld
und die Änderung des eigenen Tuns und Denkens.
Wie wichtig diese Umkehr,
die Änderung des Sinnes ist
wird in der Reformation deutlich.
Martin Luther eröffnet seine 95 Thesen
im Jahr 1517 mit dem Satz:
„Da unser Herr und Meister spricht
‚Tut Buße‘ usw. (Matth. 4,17), hat er gewollt,
dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll“.

Das ist nun eine sehr anspruchsvolle Forderung.
     Vielleicht wird klarer, worum es dabei geht,
wenn wir uns auf dem Psalm einlassen.
Denn der beginnt nicht mit einer Forderung,
sondern mit einem Dank.
Das erinnert an die Seligpreisungen
im Neuen Testament (Mt 5, 3-11).
Hier wie dort stehen am Anfang die Worte
„selig sind“ oder „glücklich sind“.
Hier wie dort wird gesagt,
worin die Seligkeit,
das Glücklichsein begründet ist.
Hier ist es die Erfahrung:
Die Sünden sind zugedeckt,
die Schuld wird nicht angerechnet.
Der Beter des Psalms spürt eine neue Freiheit.
Aber die kam nicht von selbst.
Dazu musste der Beter
zunächst aus seinen Fehlern lernen.
Er musste sie sich eingestehen.
Das war so schwer,
dass er davon regelrecht krank wurde.
     Im Psalm geht es
um die unbedingte Wahrheit des Menschen
mit und vor sich selbst.
Und es geht
um die unbedingte Wahrheit eines Menschen
vor anderen Menschen
und – im Glauben – vor Gott.
Vielleicht mag es ausreichend erscheinen,
sich selbst zu vergeben.
Doch wirkliche Entlastung –
ganz im Sinn des Wortes
„eine Last von den Schultern nehmen“ –
gibt es nur bei einem Eingeständnis der Schuld
vor anderen Menschen
und – im Glauben – vor Gott.
     Es ist allerdings möglich,
dass diese anderen Menschen,
denen die Schuld eingestanden wird,
selbst in Sünden verstrickt sind.
Dann nützt es nichts,
ihnen gegenüber seine Schuld einzugestehen.
Dann werden die Vergehen relativiert
und das Schuldeingeständnis
läuft schließlich ins Leere.
Das ist in der Geschichte der Menschen
immer wieder geschehen.
Wenn die Maßstäbe verloren gehen,
können leicht Mitläufer rekrutiert werden.
Wenn alle schuld sind,
kann der einzelne sich selbst entlasten.
Leider funktioniert dieser Mechanismus
auch in Kirchen.
Auch Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter
können tief in die eigene Schuld verstrickt sein.
Das kann dann dazu führen,
dass vieles immer weiter vertuscht
und verschwiegen wird.
Es reicht eben nicht aus,
eigene Schuld
den eigenen Kumpanen gegenüber zu bekennen.
Sie muss nach außen getragen
und deutlich werden.
Es muss eine Instanz geben,
die über den menschlichen Zusammenhängen steht,
die sich nicht vereinnahmen lässt
und ein klares Gegenüber ist.
     Gerade wenn es
um das Eingeständnis eigener Schuld geht,
wird die reformatorische Grundeinsicht Martin Luthers
besonders wichtig:
Am Ende steht jeder Mensch
mit seiner Schuld allein vor Gott.
Es nützt und hilft ihm nicht,
sich auf seinen Vorgesetzten zu berufen.
Es hilft nichts, darauf hinzuweisen,
dass andere es genauso machen.
Schuld muss öffentlich werden.
Am Ende kann allein Jesus Christus
einem schuldbeladenen Menschen
zur Seite stehen und ihm dabei helfen,
dass die Last von ihm genommen wird.
     Der Apostel Paulus
macht das immer wieder deutlich.
So schreibt er im 2. Brief an die Gemeinde in Korinth:
„Ja, in Christus war Gott selbst am Werk,
um die Welt mit sich zu versöhnen.
Er hat den Menschen ihre Verfehlungen
nicht angerechnet.
Und uns hat er sein Wort anvertraut,
das Versöhnung schenkt“
(2. Kor 5,19).
Und im Brief an die Gemeinde
klingt es schon fast wie ein Zitat aus Psalms 32:
„Glückselig ist jeder,
dessen Vergehen vergeben werden
und dessen Sünden zugedeckt sind.
Glückselig ist der Mensch,
dem der Herr die Schuld nicht anrechnet
(Röm 4,7-8).
     Es wird deutlich.
Der Aufruf zur Buße,
zur Umkehr und Sinnesänderung
ist kein Befehl, sondern eine Einladung.
Er ist ein Angebot, mich Gott anzuvertrauen –
auch und gerade in Situationen,
in denen mir meine Fehler
oder meine Schuld vor Augen stehen.
Das bedeutet aber zunächst,
die Augen zu öffnen
und nicht hinwegzusehen über das,
was unangenehm, hässlich
oder auch grässlich ist.
Mit offenen Augen hinzusehen
und sich bewusst zu machen,
was die Folgen meines Tuns und Lassens sind –
das hilft dabei,
frei zu werden für Umkehr und Sinnesänderung.
Das Glück dabei ist,
dass wir nicht allein sind.
Wir sind nicht auf uns allein angewiesen.
Sondern wir sind hingewiesen
auf Jesus Christus,
durch den unsere Schuld aufgehoben wird.
Es wird dadurch nicht ungeschehen,
was wir getan oder unterlassen haben.
Aber wir werden dazu befreit,
neu und anders und besser zu handeln
und uns darum zu bemühen,
allen Schaden so weit als möglich
wiedergutzumachen.
Dann schließlich können andere Menschen
unsere Rettung bejubeln.
Amen.

 
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