St. Vincenz zu Altenhagen I

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Andacht für die Osterwoche vom 17. bis 23. April 2022

14.04.2022

Andacht für die Osterwoche vom 17. bis 23. April 2022
über die Wochenlied  des Ostermontags
„Wir wollen alle fröhlich sein“
Verfasser: Pfarrer in Ruhe Jürgen-Peter Lesch
(Springe – früher Pfarrer der EKD in Hannover)
1. Wir wollen alle fröhlich sein
in dieser österlichen Zeit;
denn unser Heil hat Gott bereit’.
Halleluja, Halleluja, Halleluja, Halleluja,
gelobt sei Christus, Marien Sohn.

2. Es ist erstanden Jesus Christ,
der an dem Kreuz gestorben ist,
dem sei Lob, Ehr zu aller Frist.
Halleluja, Halleluja, Halleluja, Halleluja,
gelobt sei Christus, Marien Sohn.

3. Er hat zerstört der Höllen Pfort,
die Seinen all herausgeführt
und uns erlöst vom ewgen Tod.
Halleluja, Halleluja, Halleluja, Halleluja,
gelobt sei Christus, Marien Sohn.

4. Es singt der ganze Erdenkreis
dem Gottessohne Lob und Preis,
der uns erkauft das Paradeis.
Halleluja, Halleluja, Halleluja, Halleluja,
gelobt sei Christus, Marien Sohn.

5. Des freu sich alle Christenheit
und lobe die Dreifaltigkeit
von nun an bis in Ewigkeit.
Halleluja, Halleluja, Halleluja, Halleluja,
gelobt sei Christus, Marien Sohn.
Evangelisches Gesangbuch 100

Liebe Leserinnen und Leser!
„We schollen alle vrolik sein
to tesser osterliken tyd“
so lautet der ursprüngliche Text,
der um 1479
im Nonnenkloster Medingen bei Lüneburg
entstanden ist.
Die Melodie ist noch etwa 70 Jahre älter.
Sie ist so fröhlich,
dass man im Grunde beim Singen
nicht still auf den Kirchenbänken
oder -stühlen sitzen bleiben kann.
Es sollte zu diesem Lied
eigentlich getanzt werden
auf Straßen und Plätzen
in den Städten und Dörfern.
Denn es hat
den Dreierrhythmus eines Tanzes.
Es ist ein Tanzlied
voller Freude über die Rettung
vor der Macht des Todes.
Und voller Fröhlichkeit über das Heil,
das Gott selbst
den Menschen gebracht hat
und immer wieder bringen will.
     Ich höre das Lied
und möchte gern mitsingen und tanzen.
Doch dann sehe ich die Bilder
und höre die Nachrichten
über Tod und Zerstörung,
über Not und Verzweiflung und Flucht –
aus der Ukraine,
die mir so nah ist wie nie zuvor,
aus Somalia und aus dem Irak,
aus Afghanistan, aus Kenia, aus Marokko
und vielen anderen Gegenden
auf unserer Erde.
Ich sehe und höre,
dass überall – auch hier bei uns –
Menschen leiden und trauern
und verzweifelt sind.
Und ich frage mich:
Kann ich da singen,
darf ich da singen:
„Wir wollen alle fröhlich sein“?
     So nehme ich mir etwas Zeit
und lese die zweite Strophe:
„Es ist erstanden Jesus Christ,
der an dem Kreuz gestorben ist …“.
Bei aller Fröhlichkeit geht es hier
um einen grausamen Tod.
Fast hätte ich darüber hinweggesungen –
über dieses schreckliche
und einsame Sterben.
Es ist der Tod eines Menschen,
des Sohnes einer Mutter,
des Sohnes Marias.
Dieser Mensch Jesus
litt am Kreuz und schrie:
„Mein Gott, mein Gott,
warum hast du mich verlassen?“
Er war allein und entsetzlich einsam.
Denn Gott schwieg.
So wie er schon geschwiegen hatte,
als Jesus im Garten Gethsemane
zu ihm betete und flehte:
„Abba, Vater, alles ist dir möglich;
nimm diesen Kelch von mir.
Doch nicht, was ich will,
sondern was du willst.“
Dreimal betete Jesus
im Garten Gethsemane
vor seiner Verhaftung.
Und dreimal antwortete Gott nicht.
Der Himmel war verschlossen,
und das hat sich
bis zum Todesschrei von Jesus am Kreuz
nicht mehr geändert.
     Die Jünger hatten
im Garten Gethsemane geschlafen,
während Jesus betete und flehte.
Und sie waren geflohen,
als die Soldaten kamen.
Sie haben versagt.
So wie wir Menschen
immer wieder versagen,
verzweifeln, ohnmächtig sind
angesichts der Gewalt und des Leides,
die Menschen einander zufügen.
Das ist die eine Seite,
an die uns Ostern
immer wieder erinnert:
Unsre Angst, unser Versagen,
unsere Verzweiflung
und unsere Hilflosigkeit.
     Doch dabei wird
und soll es nicht bleiben.
Denn genau an diesem tiefsten Punkt
unserer Existenz,
an diesem toten Punkt handelt Gott:
„Er hat zerstört der Höllen Pfort,
die Seinen all herausgeführt
und uns erlöst vom ewgen Tod.“
Während noch das Schweigen Gottes
auf seinen Jüngern, auf den Menschen,
auf der Welt lastet, handelt Gott.
Seine Antwort geschieht
hinter allem unserem Zagen
und Klagen.
Es geschieht das Neue,
das Unmögliche und Unglaubliche:
Der von den Menschen verlassene Jesus,
der elendig am Kreuz Gestorbene,
steigt nun hinab in das Reich des Todes.
Jetzt wird deutlich,
was es mit dem Heil auf sich hat,
das in der ersten Strophe bejubelt wird.
Das Heil ist die Erlösung vom „ewgen Tod“
durch die Zerstörung seiner Macht
und die Befreiung von uns Menschen
aus seinem Bannkreis.
Kurz zusammengefasst ist hier,
was die lateinische Vorlage des Liedes,
das „Resurrexit Dominus“ näher ausführt:
„Er stieg hinab wie ein aufgereckter Löwe
zur Totenwelt, laut rufend,
die Himmelspforte aufschließend.
Adam, Eva riss er heraus und andere,
die er wollte, und erschien so den Seinen“.
Dies sagen wir kurz zusammengefasst
in unserem Glaubensbekenntnis aus:
„hinabgestiegen in das Reich des Todes“,
oder wie es früher ausgedrückt war:
„niedergefahren zur Hölle“.
     Diese gute, diese erlösende Nachricht
erfahren als erste nicht die Jünger,
die alle im Garten Gethsemane
geflohen waren,
als Jesus verhaftet wurde.
Es erfahren zunächst nicht die Jünger,
die wie Petrus abgestritten hatten,
etwas mit Jesus zu tun zu haben.
Die Frauen, die bis zum bitteren Ende
unter dem Kreuz Jesu ausgeharrt hatten,
hören als erste die erlösende Botschaft.
Sie sind bis zuletzt bei ihm geblieben,
und nun kommen sie als Erste
zum Grab Jesu.
Es ist der Ostermorgen,
und das Grab ist leer.
„Christus ist auferstanden,
er ist wahrhaftig auferstanden“
ist die Botschaft des Engels an sie.
Und sie, die Frauen, bringen uns diese frohe
und fröhlich machende Botschaft.
     „Es singt der ganze Erdenkreis
dem Gottessohne Lob und Preis,
der uns erkauft das Paradeis.“
Die erlösende Botschaft
gilt dem „ganzen Erdenkreis“.
Sie gilt über die gesamte Zeitspanne
vom Paradies am Anfang
bis zum Paradies am Ende der Zeiten.
Die Auferstehung von Christus
sprengt Raum und Zeit.
Der Himmel ist nicht mehr dunkel
und verschlossen.
Die Pforten des Paradieses
sind wieder geöffnet.
Unser Tun und Lassen,
unser Hoffen und Bangen,
unsere Verzweiflung und unsere Zuversicht
sind nicht umsonst und nicht vergebens.
Seit der Auferstehung von Christus gilt:
Unsere Welt ist zwar nicht heilig,
aber sie ist auch nicht heillos.
Sondern sie ist heilbar.
Darum können wir einstimmen
in „Lob und Preis“.
     Die Auferstehung von Christus
macht die Verzweiflung im Garten Gethsemane
und den elenden Tod auf Golgatha
nicht ungeschehen.
Verzweiflung und Tod
begleiten uns weiterhin
durch unser Leben.
Christinnen und Christen sind
wie alle Menschen nicht davor gefeit,
der Not ins Angesicht blicken zu müssen.
Die Erlösung, die Gott an Ostern
mit und durch seinen Sohn erfochten hat,
schließt nicht aus,
dass jede und jeder von uns
in die Lage kommen kann,
an seinem Ort, in seinem Leben
kämpfen zu müssen.
Es mag sein, dass es mir dann gelingt,
meine Würde zu wahren
und aufrecht zu bleiben.
Ich kann mir aber dessen nicht sicher sein.
Wie die Jünger im Garten Gethsemane
kann ich versagen und schließlich fliehen.
Wer kann vorher wissen,
wie stark ihm Verzweiflung
und Hoffnungslosigkeit,
Schmerz und Trauer packen werden?
Und wer weiß vorher,
wie einsam er dann werden wird,
wie viel Verlegenheit
er den Mitmenschen bereiten wird,
wenn sie ihm nicht mehr helfen können?
     Dagegen bringt Ostern die Erlösung.
Die Erlösung von unserer Vorstellung,
stark und mutig und heldenhaft
sein zu müssen.
Der elende und klagende Jesus
wurde durch Gottes Handeln
der auferstandene und rettende Christus.
Auch nach Ostern
gehören Leid und Tod zu unserem Leben dazu.
Doch seit Ostern
stehen dagegen die Gewissheit
und die Freude darüber,
 dass dies nicht die gesamte
und alles bestimmende Wirklichkeit ist.
Gottes Wirklichkeit ist weiter
und größer und stärker.
     Christinnen und Christen
erfahren in der Nähe Gottes
die Befreiung von Angst,
Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit.
Doch zugleich spüren sie
auch im Leiden die Nähe Gottes.
Das ist nach Ostern
nicht mehr das Leiden von Jesus,
sondern das eigene Leiden
und das Leid in der Welt.
Man denkt leicht,
die Hinwendung zu dem leidenden Nächsten
sei für Christinnen und Christen
eine moralische Pflicht.
Das ist wohl zu kurz gedacht.
Die Hinwendung zum Nächsten
ist ein tiefes religiöses Verlangen.
Sie ist ein Weg in die Gottesnähe.
Die Hinwendung zum Nächsten
entspringt der Einsicht,
dass ich das Leiden –
mein eigenes Leiden
und das Leiden anderer –
nicht immer verringern
oder gar beenden kann.
Es ist die Einsicht,
dass ich aber gerade in dieser Ohnmacht
mir nicht selbst ausgeliefert bin,
sondern bei und in Gott geborgen bin.
Das gilt sogar dann, wenn Gott schweigt.
Denn wir sind
durch Christus mit ihm versöhnt
und er mit uns.
     Darum können und dürfen wir
gerade jetzt,
wo uns Angst und Unsicherheit quälen
und die Not anderer Menschen
uns so nahekommt,
voller Freude und Zuversicht
das alte Osterlied singen –
und vielleicht sogar dazu tanzen:
Des freu sich alle Christenheit
und lobe die Dreifaltigkeit
von nun an bis in Ewigkeit.
Halleluja, Halleluja, Halleluja, Halleluja,
gelobt sei Christus, Marien Sohn.

Mit diesen Worten
wünsche ich Ihnen
ein gesegnetes Osterfest.
Jürgen-Peter Lesch

 
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