St. Vincenz zu Altenhagen I

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Sieben Erzählungen für die sieben Wochentage

30.04.2020

Sieben Erzählungen für die sieben Wochentage


Seesterne retten
Eines Nachts kam ein furchtbarer Sturm am Meer auf. Der Sturm tobte stundenlang und meterhohe Wellen des Meers brachen sich gewaltig am Strand.
Bis zum Morgen ließ das Unwetter langsam nach und der Himmel klarte sich wieder auf. Am weiten Strand lagen jedoch unzählige Seesternen, die vom Sturm an den Strand geworfen waren. Ein kleiner Junge lief am Strand entlang und nahm sehr behutsam Seestern für Seestern in seine Hand. Vorsichtig warf er sie wieder ins Meer zurück.
Da kam ein alter Mann am Strand entlang. Er sah den Jungen an und sprach: "Ach lass das doch, du kannst ja doch nicht alle retten." Der kleine Junge schaute den alten Mann an und sagte: "Vielleicht kann ich nicht alle retten. Aber für den einen verändert sich die ganze Welt!"
Und er warf den nächsten Seestern behutsam zurück ins Wasser.


Wie alt ist der liebe Gott?
Es war einmal ein kleiner Junge, der Gott kennen lernen wollte. Er wusste, dass es ein langer Weg sein würde, und so packte er Schokoriegel und einen Sechserpack Limonade in sein Köfferchen und machte sich auf den Weg.
Als er drei Häuserblocks weit gegangen war, traf er auf eine alte Frau. Sie saß auf einer Parkbank und sah unverwandt den Tauben zu. Der Junge setzte sich neben sie und öffnete sein Köfferchen. Gerade wollte er einen Schluck Limonade trinken, als ihm auffiel, wie hungrig die alte Frau aussah, und so bot er ihr einen Schokoriegel an. Sie nahm ihn dankbar entgegen und lächelte den Jungen an. Ihr Lächeln war so entzückend, dass der Junge es noch einmal sehen wollte, und so bot er ihr auch eine Flasche Limonade an. Wieder lächelte sie ihm zu. Wie sehr sich der Junge da freute!
             So saßen sie den ganzen Nachmittag nebeneinander und aßen und lächelten, aber keiner von beiden sprach auch nur ein Wort. Als es dunkel wurde, merkte der Junge, wie müde er war. Er stand auf, um zu gehen, doch schon nach ein paar Schritten kehrte er um, rannte zu der alten Frau zurück und umarmte sie. Da schenkte sie ihm sein allerschönstes Lächeln.
            Als der Junge wenig später nach Hause kam, wunderte sich seine Mutter, warum er so glücklich aussah. Sie fragte ihn: „Was hast du heute gemacht, dass du so strahlst?“ Er antwortete: „Ich habe mit Gott zu Mittag gegessen.“ Und noch bevor seine Mutter etwas erwidern konnte, fuhr er fort: „Und weißt du was? Sie hat das schönste Lächeln, das ich je gesehen habe!“
Mittlerweilen war auch die alte Frau bei sich zu Hause angelangt. Auch sie war überglücklich. Ihr Sohn wunderte sich über ihren zufriedenen Gesichtsausdruck und wollte wissen: „ Mutter, was hast Du heute gemacht. Dass du dich so freust?“ Sie antwortete: „ Ich habe im Park gesessen und mit Gott Schokoriegel gegessen.“ Und noch bevor ihr Sohn etwas erwidern konnte, fuhr sie fort: „Und weißt du was? Er ist viel jünger, als ich dachte!“
Enno Junge


Löwenzahn
Ein Mann beschloss, einen Garten anzulegen. Also bereitete er den Boden vor und streute den Samen wunderschöner Blumen aus.
Als die Saat aufging, wuchs auch der Löwenzahn. Da versuchte der Mann mit mancherlei Methoden, des Löwenzahns Herr zu werden. Weil aber nichts half, ging er in die ferne Hauptstadt, um dort den Hofgärtner des Königs zu befragen.
Der weise, alte Gärtner, der schon manchen Park angelegt und allzeit bereitwillig Rat erteilt hatte, gab vielfältig Auskunft, wie der Löwenzahn loszuwerden sei. Aber das hatte der Fragende alles schon selbst probiert.
So saßen die beiden eine Zeitlang schweigend beisammen, bis am Ende der Gärtner den ratlosen Mann schmunzelnd anschaute und sagte: “Wenn denn alles, was ich dir vorgeschlagen habe, nichts genützt hat, dann gibt es nur noch einen Ausweg: Lerne, den Löwenzahn zu lieben.”
Erzählt nach einer alten orientalischen Geschichte


Die Geschichte von den Fröschen

Es war einmal eine Gruppe von Fröschen, die gemeinsam durch einen Wald liefen. Plötzlich fielen zwei von ihnen in eine tiefe Grube, die sie nicht gesehen hatten.
Die anderen Frösche konnten einen Sturz in die Grube gerade noch verhindern und versammelten sich nun um das Loch im Boden. Sie blickten zu den beiden Kameraden herab, die tief unten auf dem Boden hockten und versuchten, aus der Grube herauszuspringen.
Als sie sahen, wie tief das Loch war, riefen sie den beiden zu, dass das Springen keinen Sinn hätte - die Grube sei viel zu tief. Sie sollten lieber aufgeben und einfach sterben.
Der eine von den beiden ließ sich durch die Aussicht, schon so gut wie tot zu sein, schnell entmutigen. Er erkannte, keine Chance zu haben und hörte auf zu springen. Schnell starb er.
Die anderen riefen zu dem übrig gebliebenen Frosch, dass er sich doch nicht weiter quälen, sondern sich ebenso wie der andere Frosch zum Sterben bereit machen sollte.
Der andere Frosch aber sprang weiter - unermüdlich, verbissen und eifrig. Höher und immer höher. Er mobilisierte noch einmal alle Kräfte und schafft es tatsächlich, aus der Grube zu springen.
Oben angekommen fragten ihn die anderen Frösche: "Sag hast du uns nicht gehört? Wir hätten nie gedacht, dass es möglich sein könnte, aus der Grube zu springen."
Schnell stellte sich heraus, dass dieser Frosch schwerhörig war. Er hatte die ganze Zeit gedacht, die anderen feuerten ihn an!


Die Rettung
Während eines Schneesturmes musste ich das Hochgebirge passieren . Ein zweiter Mann begleitete mich. Da entdeckten wir einen Verletzten, der einen Abhang hinabgestürzt war. Ich sagte: „Wir müssen ihm helfen!“ Mein Begleiter meinte: „Niemand kann das verlangen. Wir sind doch jetzt selbst in höchster Gefahr. Wir können verschüttet werden oder erfrieren.“– „Wenn wir schon sterben müssen“, antwortete ich, „dann ist es doch besser, wir sterben für den Dienst eines anderen.“ Er wandte sich ab und ging seines Weges. Ich aber stieg zu dem Verletzten hinab, hob ihn mühsam auf meine Schulter und trug ihn hinauf auf den Weg. Durch die Anstrengung wurde mir warm und meine Körperwärme übertrug sich auf den Verletzten. So wurden wir vor dem Erfrieren bewahrt. 

Nach einiger Zeit fand ich den Tibeter. Er lag im Schnee. Übermüdet wird er sich hingelegt haben und war erfroren.
Sadhu Sundar Singh


Der Schattenspringer

Ein junger Mann wollte Gutes tun und ein guter Mensch sein. Oft jedoch gelang es ihm nicht.
Seine Bequemlichkeit siegte und anstatt Gutes zu tun, verschanzte er sich hinter Trägheit und Ausreden.  Jeden Abend, wenn er ins Bett ging, sah er sich in einem Traum. Dort stand er in einer wunderschönen, sonnendurchfluteten Landschaft. Die Sonne hoch am Himmel und vor seinen Füßen ein klarer, dunkler, scharf umrissener Schatten.
Der Schatten war das Symbol für seine Schwächen, seine Trägheit und Bequemlichkeit.
In seinem Traum versuchte er immer wieder über seinen Schatten zu springen. Er wollte so gerne seine Schwächen überwinden. Jede Nacht arbeitete er in seinem Traum daran. Er erfand neue Sprungtechniken, machte immer höhere und weitere Sprünge. Doch es wollte ihm nie gelingen, seinen Schatten hinter sich zu lassen. Viele Jahre ging das so.
Eines Nachts sah er sich auf einer Wanderschaft mit dem heiligen Franz. Der wirkte ständig ausgeglichen und fröhlich und unser Schattenspringer fragte ihn nach seinem Geheimnis.
"Wie schaffst Du es nur, ständig so ausgeglichen und fröhlich zu sein? Wenn ich auf meine Fehler schaue und versuche darüber hinweg zu kommen, so drückt mich das zu Boden und macht mich unglücklich. Ich schaffe es nicht wirklich."
Der heilige Franz lachte und antwortete ihm: "Auch ich habe noch viele Fehler, auch, wenn Du sie nicht siehst. Die einzige Lösung, die es gibt, lautet: Schau auf Gott, nicht auf Deine Fehler, sieh Deine Stärken, nicht Deine Schwächen. Denn mit dem, womit Du dich beschäftigst, zu dem wirst Du."
Langsam dämmerte die Erkenntnis in unserem Schattenspringer. In der folgenden Nacht sah er sich in seinem Traum, wie er sich von seinem Schatten ab- und der Sonne zuwendete.
Er spürte die angenehme Wärme und das Licht, dass ihn nun durchflutete und das er all die Jahre lang nicht wahrgenommen hatte. Er hatte seinen Schatten übersprungen. Und von diesem Tage an war auch er ein glücklicher und ausgeglichener Mensch.
Was nicht bedeutet, dass er keine Schwächen mehr hatte. Diese waren ihm wohl bewusst, er steckte lediglich keine Energie mehr in sie hinein.

Die beiden Brüder

Zwei Brüder wohnten einst auf dem Berg Morija. Der jüngere war verheiratet und hatte Kinder, der ältere war unverheiratet und allein. Die beiden Brüder arbeiteten zusammen, sie pflügten das Feld zusammen und streuten zusammen den Samen aus. Zur Zeit der Ernte brachten sie das Getreide ein und teilten die Garben in zwei gleich große Stöße, für jeden einen Stoß Garben. Als es Nacht geworden war, legte sich jeder der beiden Brüder bei seinen Garben nieder, um zu schlafen.
Der ältere aber konnte keine Ruhe finden und sprach in seinem Herzen: "Mein Bruder hat eine Familie, ich dagegen bin allein und ohne Kinder, und doch habe ich gleich viele Garben genommen wie er. Das ist nicht recht. "
Er stand auf, nahm von seinen Garben und schichtete sie heimlich und leise zu den Garben seines Bruders. Dann legte er sich wieder hin und schlief ein.
In der gleichen Nacht nun, geraume Zeit später, erwachte der Jüngere. Auch er musste an seinen Bruder denken und sprach in seinem Herzen: "Mein Bruder ist allein und hat keine Kinder. Wer wird in seinen alten Tagen für ihn sorgen?" Und er stand auf, nahm von seinen Garben und trug sie heimlich und leise hinüber zum Stoß des Älteren.
Als es Tag wurde, erhoben sich die beiden Brüder, und wie war jeder erstaunt, dass ihre Garbenstöße die gleichen waren wie am Abend zuvor. Aber keiner sagte dem anderen ein Wort. In der zweiten Nacht wartete jeder ein Weilchen, bis er den anderen schlafend wähnte. Dann erhoben sie sich, und jeder nahm von seinen Garben, um sie zum Stoß des anderen zu tragen. Auf halbem Weg trafen sie plötzlich aufeinander, und jeder erkannte, wie gut es der andere mit ihm meinte. Da ließen sie ihre Garben fallen und umarmten einander in herzlicher brüderlicher Liebe.
Gott im Himmel aber schaute auf sie hernieder und sprach: "Heilig, heilig sei mir dieser Ort. Hier will ich unter den Menschen wohnen."
Nach einer alten jüdischen Erzählung

 
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