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Luther, Corona und die Pest

15.05.2020

Luther, Corona und die Pest

Verfasser: Mirko Gutjahr
(wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung
Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt)
Datum: 28. März 2020  
Veröffentlichung: mit freundlicher Genehmigung 
der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt
Inhalt: Mirko Gutjahr schreibt über "Luther, Corona und die Pest"
legt Luthers Ansichten dar
und zeigt einige Parallelen zur heutigen Zeit auf


Auch wenn der Gedanke nahe liegt: Die Pestepidemien des Spätmittelalters bzw. der Frühen Neuzeit und die aktuelle Coronavirus-Pandemie haben relativ wenig miteinander gemein. Zu unterschiedlich sind sie sich in Krankheitsursache, Verlauf oder in der Situation der Erkrankten.
         
Dennoch: Vieles, was als Reaktion auf die Erfahrung mit der Pest entstand, hat heute noch Relevanz. Die Idee, möglicherweise erkrankte Menschen aus Risikogebieten vom Rest der gesunden Bevölkerung für eine Zeit zu isolieren, kommt aus dieser Zeit: Reisende und Händler, die 1377 nach Raguza (heute Dubrovnik in Kroatien) wollten, mussten 30 Tage auf einer vorgelagerten Insel warten, bis sie in die Stadt durften. 1448 verlängerte Venedig diese Zeit auf 40 Tage, die „quarantena“, die der heutigen Quarantäne ihren Namen gab. Diese Maßnahmen erzielte jedoch immer nur kurzfristige Erfolge, die Seuche kehrte regelmäßig zurück, wenn auch in kleineren Ausmaßen und jeweils regional begrenzt. Die Pest war aber nun zu einer permanenten Bedrohung der Menschen in Europa geworden. Die Chroniken mitteldeutscher Städte zeigen, dass seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert kaum ein Jahrzehnt verging, in dem nicht mindestens ein Pestausbruch zu verzeichnen war. Allein in der Zeit von Luthers Wirken in Wittenberg wurde die Stadt fünfmal von der Pest heimgesucht: 1516, 1527, 1535, 1538 und 1539.
         
Doch schon 1505 könnte die Pest Luthers Leben maßgeblich geprägt haben: Durch den Tod eines oder zweier Brüder Luthers in der Heimatstadt Mansfeld geriet die Berufsplanung seines Vaters für seine Söhne durcheinander. Der eigentlich für eine juristische Laufbahn vorgesehene, nachgeborene Sohn Martin rückte nun zum ältesten Erbe auf und war plötzlich zur Nachfolge seines Vaters als Hüttenmeister und Bergwerksbetreiber bestimmt. Doch Martin Luther entzog sich dem durch seinen eigenmächtigen Eintritt ins Kloster und der Zuwendung zur Theologie.
          
Auch in seinem späteren Wirken spielte die Pest für Luthers Denken und Wirken eine Rolle: Bereits 1516 äußerte er große Zweifel an der historischen Existenz des Pestheiligen Rochus, an den sich seine Zeitgenossen neben dem heiligen Sebastian bevorzugt um Beistand gegen die Suche wandten. Die Kritik an der Heiligenverehrung sollte in den kommenden Jahren eines der zentralen Themen der Reformation werden. 1527 wurde Luther schließlich direkt mit der Seuche konfrontiert, als die Pest im Spätherbst in Wittenberg auftrat und sich bis in den Winter hinzog: „Christus möge bewirken, dass diese Pest aufhört … Innerhalb von zwei Tagen gab es an einem Tag gleich 12 Tote … Siehst Du nur die Vermutung, lebe ich in meinem Hause inmitten der Pest“ schrieb er am 4. November an den in Nordhausen weilenden Justus Jonas. Obwohl selbst (wenngleich nicht an der Pest) erkrankt, weigerte sich Luther selbst, Wittenberg zu verlassen und nahm Erkrankte in seinem Haus auf. Ein Verhalten, dass er auch anderen empfahl: Zwischen Ende Juli und Ende Oktober 1527 entstand anlässlich einer Anfrage der Breslauer Gemeinde seine einflussreiche Schrift „Ob man vor dem Sterben fliehen möge“. Hierin äußerte er Verständnis für alle, die die von der Pest betroffenen Gebiete verlassen wollten. Flucht sei keine Sünde. Allerdings machte er sich auch um das Fortbestehen der organisatorischen Strukturen Gedanken, weshalb er forderte, dass Amtspersonen, Priester und Angehörige zur Pflege der Kranken zum Bleiben verpflichtet seien.  Die Krankheit sei keine Strafe Gottes, sondern komme vom Teufel – die Pest werde so zu einer Bewährungsprobe im Glauben. Daher seien ärztliche Hilfe und die üblichen Abwehrmaßnahmen legitim und angebracht, doch der wahre Arzt und Trostspender sei Christus. Fast schon auf unsere Zeit ausgerichtet wirkt Luthers scharfe Verurteilung der Verantwortungslosigkeit von nur leicht Erkrankten, die sich unter Gesunde mischten und sie dadurch ansteckten. Wer dies absichtlich tue, sei gar mit einem Mörder vergleichbar.  
          
Luthers Auffassungen der Heilkunst sind aber nicht einfach nur die Meinung eines Bürgers oder die eines Pfarrers oder Universitätsprofessors. Er vermittelte vielfach auch die Anliegen der Obrigkeit und Ärzte, insbesondere wenn es das Verhalten im Krankheitsfall betraf. Sein Wort hatte Gewicht. Was er von der Kanzel verkündete, fiel bei seinen Mitmenschen eher auf fruchtbaren Boden als offizielle Verlautbarungen. Kurfürstliche Kanzlei, Rathaus und Universität nutzten ihn daher besonders in Notzeiten als Mittelsmann. Zudem er nichts forderte, was er nicht auch selbst befolgte. So blieb er standhaft vor Ort (möglicherweise war er – ohne es selbst zu ahnen – gegen die Pest sogar immun) und stand den Zurückgebliebenen bei, wenn um ihn herum die Studenten, Professoren, Ratsherren, Pfarrer und sogar Ärzte vor den immer wieder über Wittenberg hereinbrechenden Pestwellen aus der Stadt flohen. Zwar billigte er jedem zu, sich vor Ansteckung zu schützen, und sei es durch Flucht aufs Land, aber dabei den Beruf nicht zu vernachlässigen und gerade den Schwachen die Hilfe nicht zu verwehren. Er selbst ging mit gutem Beispiel voran: „Ihr wisset, dass ich bei Pestilenz niemals geflohen bin, sondern mit meinem ganzen Hause und Familie ausgehalten habe.“ Ein bleibendes Zeugnis für Luthers Eintreten für medizinische Belange, das Auswirkungen bis heute hat, ist auch sein Ratschlag, die Friedhöfe außerhalb der Stadtmauern zu verlegen. „Aufs erste lass ich das die Doktoren der Arznei urteilen und alle, die des besser erfahren sind, ob es gefährlich sei, dass man mitten in der Stadt Kirchhöfe hat. Denn ich weiß und verstehe mich nicht darauf, ob aus den Gräbern Dunst und Dampf gehe, der die Luft verrücke. Wo dem aber so wäre, hat man aus obgesagter Warnung Ursachen genug, dass man den Kirchhof außerhalb der Stadt habe. Denn wie wir gehört haben, sind wir allesamt schuldig, dem Gift zu wehren, womit man vermag.“ In Wittenberg und dann auch an vielen anderen Orten folgte man diesem sicher insbesondere zu Seuchenzeiten durchaus sinnvollen Ratschlag.
         
Auch an anderer Stelle folgt man seiner Empfehlung: Die im Zuge von Luthers neuer reformatorischer Lehre geäußerte scharfe Kritik an der sogenannten Werkfrömmigkeit hatte ja nicht nur religiöses Umdenken, sondern auch einen massiven Einbruch der Hospitalskultur und dem Bruderschaftswesen zufolge. Die Stiftung eines barmherzigen Werks oder die persönliche Fürsorge für Kranke war in der neuen Rechtfertigungslehre nun ja kein notwendiges verdienstvolles Werk mehr, das den eigenen Status vor Gott rechtfertigte. Hinzu kam noch, dass durch die Auflösung zahlreicher Klöster infolge der Reformation nun auch die dort bis dahin praktizierte Kranken- und Armenfürsorge wegfiel. Dieses Problem war offenbar auch Luther durchaus bewusst, setzte er sich doch vermehrt für die bestehenden Wittenberger Hospitäler und die Schaffung weiterer Einrichtungen ein. Anlässlich der Pest 1527 merkte er dann auch an, dass es nützlich sei, wenn es allgemeine Krankenhäuser gäbe, damit nicht jeder Bürger in seinem Hause ein eigenes Spital führen müsste. Als die Pest schließlich im Dezember abklang, setzte er alles daran, das inzwischen von den Mönchen verlassene Franziskanerkloster durch den Kurfürsten Johan „zu einer Herberg und Wohnung für (…) arme Glieder verordnen und geben“ zu lassen. Tatsächlich ließ sich Johann von seiner brieflichen Bitte umstimmen und gab Brauhaus, Badestube, Brunnen, Röhrkasten und andere Teile des Klosters, die er eigentlich schon anderweitig versprochen hatte, für diesen Zweck frei. Zusammen mit Justus Jonas und Johannes Bugenhagen erwirkte Luther zudem auch noch eine Renovierung und Umbau der Anlage zum Spital.
         
Dass sich dies nicht von allein finanzierte, war auch Luther klar. Schon in der maßgeblich von ihm beeinflussten Wittenberger Beutelsordung von 1520/21 (woraus sich 1522 der „Gemeine Kasten“, die erste nachmittelalterliche Sozialhilfe entwickeln sollte), berücksichtigte den enormen Finanzbedarf für Heilmittel, Krankenpfleger und Ärzte: „In sterblichen zeitten solt man auch den armen wartung an enn sunderlichen orth von anderm leut gelegen bestellen.“
         
Die Notwendigkeit des gesellschaftlichen Zusammenstehens gerade in der Krise ist und bleibt auch in Zeiten moderner Pandemien ein wesentlicher Gedanke. Hoffen wir, dass wenigstens diese Gemeinsamkeit beide Pandemien verbindet.

 
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