St. Vincenz zu Altenhagen I

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Andacht über den Wochenpsalm des Sonntags Judika und für die Zeit vom 21. März bis 27. März 2021

22.03.2021

Andacht über den Wochenpsalm des Sonntags Judika
und für die Zeit vom 21. März bis 27. März 2021
Verfasser: Pfarrer in Ruhe Jürgen-Peter Lesch
(
Springe – früher Pfarrer der EKD in Hannover

Verhilf mir zu meinem Recht, Gott!
Vertritt mich vor Gericht gegen das Volk,
das sich nicht an deine Gebote hält!
Rette mich vor falschen und bösen Menschen!

Denn du bist der Gott, der meine Zuflucht ist!
Warum hast du mich verstoßen?
Warum muss ich so traurig durchs Leben gehen,
bedrängt von meinem Feind?

Sende dein Licht und deine Wahrheit!
Sie sollen mich sicher führen.
Sie sollen mich zu dem Berg bringen,
wo dein Heiligtum ist – deine Wohnung.

Was bist du so bedrückt, meine Seele?
Warum bist du so aufgewühlt?
Halte doch Ausschau nach Gott!
Denn bald werde ich ihm wieder danken.
Wenn ich nur sein Angesicht schaue,
hat mir mein Gott schon geholfen
.
(Psalm 43, 1-3 und 5 in der Übersetzung der BasisBibel)


Verhilf mir zu meinem Recht, Gott!“
Oder wie es in der Lutherbibel übersetzt ist:
„Schaffe mir Recht, Gott!“ –
fünfmal steht diese Bitte in den Psalmen.

Gott als letzte und höchste Rechtsinstanz –
genau darum geht es in dieser Bitte.
An vielen Stellen ist davon in der Bibel die Rede:
recht haben und recht bekommen,
richten und gerichtet werden,
verurteilen
und Gnade walten lassen.
Diese Themen sind so wichtig,
dass sie einem Sonntag im Kirchenjahr
seinen Namen geben.
„Judika“ heißt der vorletzte Sonntag in der Passionszeit,
in diesem Jahr der 21. März.
Der Name nimmt die ersten Worte des 43. Psalms auf.
„Judica me Deus“ –
so beginnt die lateinische Übersetzung
des hebräischen Textes.
Das heißt auf Deutsch: „Richte mich, Gott“.

Luther hat an dieser Bibelstelle
den lateinischen Wortlaut übersetzt.
Und so lautet der Text in der Lutherbibel
bis zum Jahr 1964: „Richte mich, Gott,
und führe meine Sache
wider das unheilige Volk
und errette mich
von den falschen und bösen Leuten.“
Gott soll also richten -
allerdings über mich selbst.

Übersetzen wir den Bibelvers
aus der hebräischen Bibel
und ebenso aus ihrer Übertragung ins Griechische,
dann lautet der Text so:
„Schaffe mir Recht, Gott!“
Oder anders ausgedrückt
„Verhilf mir zu meinem Recht, Gott“.
Und weiter:
„Vertritt mich vor Gericht gegen das Volk,
das sich nicht an deine Gebote hält!“
Hier sind es also die anderen,
über die mit Gottes Hilfe gerichtet werden soll.

Welche Übersetzung ist nun die richtige?
Soll Gott über mich richten
oder soll Gott mir zum Recht verhelfen?

Bei einer Antwort auf diese Frage
hilft ein Blick in die hebräische Bibel.
Das Wort am Anfang von Ps 43
dort bedeutet so viel wie
Recht herstellen oder Recht durchsetzen.
Einerseits wird es verwendet
im Sinne von
richten, ein Urteil sprechen,
oder auch
jemanden verurteilen.
Anderseits kann es auch bedeuten
zum Recht verhelfen, jemanden ins Recht setzen.
Die beiden Seiten des Richtens
sind dabei zusammengehalten.
Wie so oft beim Übersetzen der Bibel
ist es ein Problem,
dass die Worte der anderen Sprache
eine abweichende Bedeutung
als bei uns haben.
Wir müssen entscheiden,
was vom Textzusammenhang richtiger
und wichtiger ist.
Leider geht bei einer solchen Entscheidung
manchmal etwas vom ursprünglichen Wortgehalt
verloren.
Und es entstehen Bilder vor unseren Augen,
die nicht dem entsprechen,
was im ursprünglichen Text gesagt ist.

Wenn wir von Gott
als Richter sprechen,
dann erinnern wir uns vielleicht an Darstellungen
des göttlichen Weltgerichts auf Altarbildern
oder in den Bogenfeldern über Kirchenportalen.
Gott selbst oder Jesus thront als Richter
und entscheidet über die Menschen
zu seinen Füßen.
Er entscheidet über Hölle oder Paradies,
Seligkeit oder Verdammnis.
Doch diese Bilder
stammen aus unserer Rechtsvorstellung.
Urteile sollen gefällt werden ohne Ansehen der Person.
Ziel ist die scharfe Bestrafung des Verurteilten.
Mittelalterliche Darstellungen der Justitia
illustrieren dies deutlich.
Es geht nicht mehr allein um einen Ausgleich
zwischen zwei Parteien.
Dies wurde ursprünglich durch die Waage dargestellt,
die Justitia hält.
Im Mittelalter kommen das Richtschwert
und die Augenbinde hinzu.
Es geht jetzt um die Bestrafung
einer unrechten Tat.
Doch wir wissen:
Ohne die Hintergründe einer Tat
und die jeweiligen Motive der Beteiligten zu kennen,
lässt sich kein angemessenes Urteil fällen.
Nur wird es problematisch,
wenn immer mehr Aspekte
berücksichtigt werden müssen.
Denn dann wird die Rechtsprechung
immer aufwendiger, komplizierter und langwieriger.
Zwar gibt es meistens einen Gewinner
und einen Verlierer.
Aber oft verlieren beide Kontrahenten
in einem Gerichtsprozess.
Dann hat nur das Rechtssystem gewonnen.

Dies alles entspricht nicht
dem biblischen Verständnis von Gott
oder Christus als Richter.
Gott wendet sich jedem Menschen zu.
Und diese Zuwendung äußert sich
sowohl in einem Gerichtsurteil
als auch in einem Gnadenakt.
Es geht grundsätzlich um die einzelnen Menschen
und erst in zweiter Linie um strafwürdige Taten.
Und die schlimmste Strafe ist,
dass sich Gott von einem Menschen abwendet.
Daher die drängende Frage im Psalm,
an die sich sofort eine Bitte anschließt:

„Warum hast du mich verstoßen?
Warum muss ich so traurig durchs Leben gehen,
bedrängt von meinem Feind?
Sende dein Licht und deine Wahrheit!
Sie sollen mich sicher führen.
Sie sollen mich zu dem Berg bringen,
wo dein Heiligtum ist – deine Wohnung.“

Gott richtet, um dem Menschen
dabei zu helfen, sich selbst neu auszurichten
und sich an der Wahrheit zu orientieren.
Dabei geht es um eine verantwortliche
und verantwortete Gestaltung des eigenen Lebens.
Nach diesem Leben schließt sich,
so lesen wir im Neuen Testament,
ein Gericht am Ende der Zeiten an.
Hier ist nun Christus der Richter.
Der ist den Menschen nah,
hat er doch als Mensch unter ihnen gelebt.
Der auferstandene Christus
ist als der Richter zugleich auch der Retter,
der Heiland, wie es Luther sagt.
So ändert sich mit dem Geschehen,
das wir Ostern feiern,
auch die Vorstellung vom göttlichen Richter.
Er ist ein rettender Richter
und zugleich ein richtender Retter.
Das eine hebt das andere nicht auf.
Diese Vorstellung ließ und lässt
bei manchen Mächtigen in der Kirche
die Alarmglocken klingen.
Kann es denn sein,
dass diejenigen, die sich schuldig machen
und andere schädigen,
einfach davonkommen?
Kann es denn sein,
dass nicht mehr
mit Strafen gedroht werden kann?
Und was wird,
wenn eine so lukrative Strafandrohung,
wie es der Ablass gewesen ist, wegfällt?
Martin Luther hat all denen,
die den strafenden und rächenden Gott
für Ihre Zwecke instrumentalisiert haben,
einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Ihm war klar geworden,
dass sich die Ablasspraxis
auf die Vorstellung
einer göttlichen Gerichtsverhandlung stützte,
in der man sich mehr oder minder
gütlich einigen kann.
Dagegen setzt Luther
seine grundlegende reformatorische Erkenntnis:
Der allein im Glauben gerechtfertigte Mensch
braucht das Gericht nicht zu fürchten.
Zwar gibt es immer noch die Befangenheit
und Furcht vor diesem Gericht,
aber – so schreibt Luther –
„an jenem Tage ... wird dies alles aufhören,
und sie werden von allem Übel erlöset sein.
Daher nennt die Schrift
diesen Tag [des Endgerichts]
den Tag unserer Erlösung“.
Zurück zum Psalmwort:
„Richte mich“ und „schaffe mir Recht“
gehören zusammen.
Ich stehe vor Gott wie alle anderen Menschen
und nicht über ihnen.
Aber gerade deshalb
kann ich Gott um seinen Beistand bitten.
Gerade weil ich mich dem göttlichen Gericht unterwerfe,
kann ich Gott um Hilfe bitten
gegen die „falschen und bösen Leute“,
die mich bedrohen.
Weil Gott in Christus Richter und Retter zugleich ist,
kann ich ihm mit meinen Sorgen, Nöten und Ängsten
und meiner Verzweiflung in den Ohren liegen.
Was ich einem Richter nie offenbaren würde,
kann ich dem Retter anvertrauen.
Bei ihm finde ich Verständnis und Schutz.
Ihm kann ich auch von meinen Erfolgen berichten,
ihn teilhaben lassen an Plänen und Visionen.
Der Richter mag bei manchen zur Vorsicht raten
und auch mahnen.
Der Retter wird mich auffangen,
wenn ich stolpere oder gar falle.
Der Psalm spricht vom Vertrauen auf Gott,
das Zuversicht mit sich bringt.
Denn Gott lässt sich entdecken,
wenn ich nach ihm Ausschau halte.
Der Psalmbeter ermahnt sich selbst:
„Halte doch Ausschau nach Gott!“
Und er ist sich dabei gewiss:
„Denn bald werde ich ihm wieder danken.
Wenn ich nur sein Angesicht schaue,
hat mir mein Gott schon geholfen.“
Amen.

 
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