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Andacht für die Woche vom 1. November bis 7. November 2020

01.11.2020

Andacht für die Woche vom 1. November bis 7. November 2020
Verfasser:  Wilhelm Niedernolte
Superintendent in Ruhe
(Eldagsen)

„Lass dich nicht vom Bösen überwinden,
sondern überwinde das Böse mit Gutem
.

(Römer 12,21 – Wochenspruch für den 21. Sonntag nach Trinitatis)

 

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

das Leben ist Kampf.
Man muss manchmal kämpfen,
wenn man etwas erreichen will.
Wahrscheinlich ist unser Leben nicht nur Kampf,
aber auch Kampf.
Das beginnt schon sehr früh.
Wenn kleine Kinder laufen lernen,
kämpfen sie gegen die Schwerkraft der Erde,
die sie immer wieder umfallen lässt.
Sie gewinnen diesen Kampf.
Irgendwann schafft es die Schwerkraft nicht mehr,
sie umzuwerfen.
Später in der Schule
kämpfen sie gegen schlechte Zensuren.
Manchmal gewinnen sie, manchmal verlieren sie.
Das Leben ist Kampf.
Wenn sie erwachsen sind,
kann es passieren,
dass sie um ihre Ehe kämpfen müssen,
um die Fortsetzung ihrer Ehe,
um einen wertschätzenden Umgang miteinander.
Und im letzten Viertel eines Lebens
tauchen oft Gegner auf,
die man bisher gar nicht kannte.
Man muss gegen Krankheiten kämpfen.
Wir alle kämpfen in diesen verschärften Coronazeiten
um einen halbwegs normalen Alltag.
Manch einer kann auch von Glaubenskämpfen berichten,
von Kämpfen mit Gott
über seine Gerechtigkeit und Menschenfreundlichkeit,
die manchmal nicht spürbar sind, eher das Gegenteil.
Auch diese Kämpfe kann man gewinnen
oder verlieren, so wie alle anderen Kämpfe.

     Aber wie können und sollen wir kämpfen?
Paulus beschreibt im Wochenspruch
den Kampf der Christen
als eine Mischung aus Widerstand und Gegenstrategie:
Das Böse wohl zur Kenntnis zu nehmen,
und es zu überwinden.  
Das Böse lässt sich nicht abschaffen.
Wer das trotzdem versucht
oder anderen verspricht,
verfolgt ein aussichtloses Ziel
und wird enttäuscht werden.
     Aber es lässt sich überwinden.
Man muss sich von ihm nicht unterkriegen lassen,
sondern kann mit Kampf und Anstrengung,
mit eigener und mit fremder Hilfe darüberstehen,
das Böse überwinden,
indem man Gutes dagegensetzt.

     Wie bekommt man solche Kraft?
Wir Christen sind
mit dem Rabbi aus Nazareth unterwegs,
der seinen Tod überwunden hat,
ihn nicht abgeschafft,
ihn sogar selbst erlitten,
ihn aber überwunden hat,
mit Gottes Hilfe, der ihn vom Tod auferweckt hat.
Diese Kraft des Überwinders ist unter uns,
man kann sie spüren.
Darum:
Lass dich nicht vom Bösen überwinden,
sondern überwinde das Böse mit Gutem.

     Wie kann man solche Kraft spüren?

Eine Frau in mittleren Jahren
bekam von ihrem Gynäkologen
bei einer Routineuntersuchung die Diagnose: Krebs.
Bösartig.
Definitiv.
Operation unbedingt erforderlich.
In drei Wochen.
Eine solche Diagnose ist geeignet,
einen Menschen aus der Bahn zu werfen,
Zukunftspläne zu durchkreuzen,
Todesängste zu entwickeln und zu verzweifeln,
vom Bösen überwunden zu werden.
Für die Frau in mittleren Jahren
ist das Böse eine Realität geworden,
die sich nicht verharmlosen,
auch nicht kleinreden lässt.
Die Diagnose steht.
Wie geht sie damit um?
Zunächst ist sie geschockt.
Dann kehrt die Angst bei ihr ein.
Sie fragt sich: Soll es das gewesen sein?
Und dann teilt sie ihre Angst mit ihrer Familie,
mit Freunden
und mit Menschen aus ihrer Kirchengemeinde.
Oft wird sie gefragt:
Was können wir für dich tun?
Und sie nennt einiges, was ihr gut tun würde.
Und sie sagt: Ich brauche jetzt eure Gebete.
Sie kann sicher sein,
sie wird die Gebete bekommen.
     Lass dich nicht vom Bösen überwinden,
sondern überwinde das Böse mit Gutem.
Mit Menschen, die ihre Ängste mittragen, mit Gebeten,
die wie ein Netz unter dem Drahtseil aufgespannt sind.

Die friedliche Revolution 1989,
die in Leipzig und anderswo,
begann mit Friedensgebeten
und nicht mit einem bewaffneten Aufstand.
Sie bestätigt die Worte des Paulus.
Gebete brachten Mauern zum Einstürzen.
Zäune wurden niedergerissen.
Böses mit Bösem zu beantworten,
mag kurzfristig erfolgreich sein,
langfristig werden Mauern dicker
und Zäune undurchlässiger.
     Der Politik in Deutschland und in Europa
und namentlich unserer Bundeskanzlerin
wird gelegentlich vorgeworfen,
sie sei zu zögerlich, zu unentschlossen,
sie müsse nun aber mal ein Machtwort sprechen
bei den unmöglichen Entscheidungen
einiger Regierungen in Nachbarländern.
Das tut sie aber nicht,
sondern sie versucht es
immer wieder mit Gesprächen.
Sie ist manchmal von penetranter Geduld,
und genau deswegen
ein Fels in der Brandung Europa.
Das ist manchem zu zögerlich,
zu wenig spektakulär.
Mag sein.
Aber das ist politisch vernünftig,
das dient dem Frieden.
Darum handelt sie so. 
Das liegt sicher auch in ihrem Naturell.
Liegt es vielleicht auch daran,
dass sie Pastorentochter ist
und häufig unter der Kanzel ihres Vaters gesessen hat
und Predigten über Worte aus dem Römerbrief gehört hat,
z.B. dieses:
Lass dich nicht vom Bösen überwinden,
sondern überwinde das Böse mit Gutem?

     Das Leben ist Kampf,
manchmal mehr, manchmal weniger.
Der Kampf zieht sich durch unser ganzes Leben,
vom Kleinkind bis zum Greis.
Der Kampf der Christen bedeutet nicht,
das Böse gewähren zu lassen,
oder Terroristen und andere Kriminelle
nicht zu bestrafen.
Böse Absichten
lassen sich oft nur mit Gewalt verhindern.
Das widerspricht nicht den Worten des Paulus.
Der Kampf der Christen
bedeutet aber auch eine Deeskalation der Gewalt,
einen ausgeschlagenen Zahn
nicht mit einem ausgeschlagenen Zahn zu beantworten,
Hass nicht mit Hass zu beantworten,
sondern mit einer Strafe,
die die Möglichkeit zur Wiedergutmachung enthält.
Lass dich nicht vom Bösen überwinden,
sondern überwinde das Böse mit Gutem.
Das ist gut für dein Land und für dich selbst.

 

Wilhelm Niedernolte

 
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