St. Vincenz zu Altenhagen I

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Andacht für die Woche vom 30. Oktober bis 5. November 2022

30.10.2022

Andacht für die Woche vom 30. Oktober bis 5. November 2022
zum Wochenlied
„Nun freut euch, lieben Christen g’mein“ (EG 341)
Verfasser: Pfarrer in Ruhe Jürgen-Peter Lesch
(
Springe – früher Pfarrer der EKD in Hannover


Trost und Auftrag zum Reformationsfest

Liebe Leserin, lieber Leser,
Text und Melodie des Liedes zum Reformationsfest
stammen von Martin Luther.
Für ihn war es wichtig,
dass die frohe Botschaft Gottes
nicht nur durch die Predigt,
sondern ebenso durch die Musik
verkündigt werden sollte.
Musik war für ihn ein Geschenk Gottes, das
„die Traurigen fröhlich …
und die Verzagten herzenhafftig“
macht.
    Manchmal möchte ich morgens
die Zeitung gar nicht mehr ins Haus holen,
sondern gleich zum Altpapier stecken.
Fast jeden Morgen werde ich
mit Schlagzeilen „begrüßt“,
in denen irgendjemand vor irgendetwas warnt.
Und ich weiß oft nicht,
was ich mit diesen Warnungen anfangen kann.
Wenn an einem Gartentor
„Warnung vor dem Hunde“ steht,
dann weiß ich, was zu tun ist:
Entweder das Tor nicht öffnen
oder sehr schnell laufen können
oder ein Stück Wurst dabeihaben.
Oder wenn ich auf der B 217
hinter Hachmühlen vor möglichen Eisplatten
auf der Fahrbahn gewarnt werde,
dann achte ich sehr genau
auf die Außentemperaturanzeige
und fahre langsam und vorsichtig,
wenn es erforderlich ist.
Aber was soll ich tun,
wenn vor der Inflation gewarnt wird?
Die kann ich nicht beeinflussen.
Oder vor der Gefahr,
dass Atomwaffen eingesetzt werden?
In den USA hat man in den 50-er Jahren
in Zeichentrickfilmen mit einer Schildkröte
und dem Spruch „Duck and Cover“
(duck dich und schütze dich)
eine ziemlich verrückte Verhaltensweise
im Falle eines Atombombenabwurfs empfohlen.
Aber heute?
    Martin Luthers Lied -
es ist wohl sein persönlichstes Lied –
könnte auch voller Warnungen sein –
vor den Folgen der Sünde,
vor dem Teufel.
Doch es beginnt mit einem Aufruf,
sich zu freuen, zu springen und zu singen:
Nun freut euch, liebe Christen g’mein
und lasst uns fröhlich springen,

dass wir getrost und all’ in ein
mit Lust und Liebe singen,

was Gott an uns gewendet hat
und seine süße Wundertat;

gar teu’r hat er’s erworben.
    Gottes Zuwendung zu uns Menschen
ist der Grund aller Freude.
Durch Gottes „Wundertat“ –
Gott sendet seinen eigenen Sohn
als unseren Retter auf die Erde –
hat sich alles geändert.
          
In den folgenden Strophen
entfaltet Luther
seine grundlegende theologische Einsicht,
die er im Römerbrief
zusammengefasst gefunden hat:
„So halten wir nun dafür,
dass der Mensch gerecht wird
ohne des Gesetzes Werke,
allein durch den Glauben“ (Röm 3,28).
Was wir da lesen und singen,
klingt für uns zunächst ziemlich fremd:
Dem Teufel ich gefangen lag,
im Tod war ich verloren,
mein Sünd mich quälte Nacht und Tag,
darin ich war geboren.
Ich fiel auch immer tiefer drein,
es war kein Guts am Leben mein,
die Sünd hatt’ mich besessen.

Mein guten Werk, die galten nicht,
es war mit ihn’ verdorben;
der frei Will hasste Gotts Gericht,
er war zum Gutn erstorben;
die Angst mich zu verzweifeln trieb,
dass nichts denn Sterben bei mir blieb,
zur Höllen musst ich sinken.
   
Viele verstehen gar nicht, was Sünde ist.
Und schon gar nicht
beziehen sie Sünde auf sich selbst.
Doch bei aller Fremdheit
der Rede von Teufel und Hölle
sind dies Erfahrungen,
die jeder Mensch machen kann,
ja wohl machen muss.
Es sind die Zeiten der Sorge
und der Verzweiflung.
Es läuft nicht so wie erhofft.
Unsere Wünsche erfüllen sich nicht.
Wir fühlen uns
bei all unseren Mühen anderen Mächten,
die wir nicht beeinflussen können, ausgeliefert.
    In den nächsten Strophen
ist dann die Rede von der Rechtfertigung.
Da jammert Gott in Ewigkeit
mein Elend übermaßen;
er dacht an sein Barmherzigkeit,
er wollt mir helfen lassen;
er wandt zu mir das Vaterherz,
es war bei ihm fürwahr kein Scherz,
er ließ’s sein Bestes kosten.

Er sprach zu seinem lieben Sohn:
„Die Zeit ist hier zu erbarmen;
fahr hin, meins Herzens werte Kron,
und sei das Heil dem Armen
und hilf ihm aus der Sünden Not,
erwürg für ihn den bittern Tod
und lass ihn mit dir leben.“

Der Sohn dem Vater g’horsam ward,
er kam zu mir auf Erden
von einer Jungfrau rein und zart;
er sollt mein Bruder werden.
Gar heimlich führt er sein Gewalt,
er ging in meiner armen G’stalt,
den Teufel wollt er fangen.

Er sprach zu mir: „Halt dich an mich,
es soll dir jetzt gelingen;
ich geb mich selber ganz für dich,
da will ich für dich ringen;
denn ich bin dein und du bist mein,
und wo ich bleib, da sollst du sein,
uns soll der Feind nicht scheiden.

Die Frage nach der „Rechtfertigung“ vor Gott
ist heute für viele Menschen
nicht mehr relevant.
Umso mehr ist es
die Frage der Rechtfertigung voreinander.
In „Rechtfertigung“
steckt der Begriff „Recht“.
Und der steckt wiederum
im Wort „Gerechtigkeit“.
Die Frage danach,
was gerecht ist, treibt uns um.
Gerade in dieser Zeit,
in der es um Hilfen für Menschen
angesichts steigender Preise
und Energiekosten geht.
Und in der die Frage gestellt wird,
ob es richtig und (ge)recht ist,
ein Bürgergeld einzuführen.
Menschen können gnadenlos sein,
wenn sie einander fragen,
ob die Wünsche, Bedürfnisse
und Hoffnungen des anderen
gerechtfertigt sind.

Wenn Martin Luther hier beschreibt,
dass Gott selbst durch seinen Sohn
jeden Menschen rechtfertigt,
dann sollte uns das nachdenklich machen.
Wenn Gott dies tut,
welches Recht haben wir dann,
den anderen zu fragen:
Aus welchem Grund lebst du eigentlich,
wieso gibt es dich eigentlich
und vielmehr nicht?
    Die letzten drei Verse
vergegenwärtigen uns die Geschichte,
den Weg Jesu. ‚
In jedem Gottesdienst bekennen wir
im Glaubensbekenntnis seinen Weg
von der Empfängnis und Geburt
über Kreuz, Auferstehung und Himmelfahrt
hin zu Pfingsten.
Das Auffallende und Besondere
in diesem Lied ist jedoch,
dass es nicht einfach erinnernd
auf Vergangenes zurückblickt.
Jesu Tod am Kreuz geschieht
zu unserer aller Befreiung.
Das ist das Angebot des Glaubens.
    Am Ende spricht Jesus selbst:
„Vergießen wird er mir mein Blut,
dazu mein Leben rauben;
das leid ich alles dir zugut,
das halt mit festem Glauben.
Den Tod verschlingt das Leben mein,
mein Unschuld trägt die Sünde dein,
da bist du selig worden.

Gen Himmel zu dem Vater mein
fahr ich von diesem Leben;
da will ich sein der Meister dein,
den Geist will ich dir geben,
der dich in Trübnis trösten soll
und lehren mich erkennen wohl
und in der Wahrheit leiten.


Was ich getan hab und gelehrt,
das sollst du tun und lehren,
damit das Reich Gotts werd gemehrt
zu Lob und seinen Ehren;
und hüt dich vor der Menschen Satz,
davon verdirbt der edle Schatz:
das lass ich dir zur Letzte.“
   
Im letzten Satz schaut Martin Luther
nochmals zurück auf den Anfang
und Ausgangspunkt des Heilswegs.
„Und hüt dich vor der Menschen Satz,
davon verdirbt der edle Schatz,
das lass ich dir zur Letze.“
Das letzte Wort hat „allein der Glaube“,
„allein die Gnade“.
   
Und in dem Zusammenhang
gibt es einen Rat von Jesus:
„Was ich getan hab und gelehrt,
das sollst du tun und lehren,
damit das Reich Gotts wird gemehrt
zu Lob und seinen Ehren“.
    Wir sind damit alle angesprochen,
das Vertrauen auf Gott zu bezeugen,
die Gemeinschaft des Glaubens zu stärken
und auf die Gegenwärtigkeit des Reiches Gottes
in unserer Mitte zu hoffen.

Ich wünsche Ihnen allen
ein fröhliches und zuversichtliches Reformationsfest.
Jürgen Peter Lesch

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Das Lied „Nun freut euch, lieben Christen g’mein“
ist Luthers zweites Lied.
Er hatte es ursprünglich als „Kontrafaktur“
(Abfassen eines Liedtextes
auf eine schon vorhandene Melodie)
auf die Melodie des Osterprozessionsliedes
„Nun freut euch Frauen unde Mann“ geschrieben,
ihm aber kurz darauf die Melodie,
die nun im Gesangbuch steht, beigegeben.
Die wiederum stammt
aus einer Volksweise des 15. Jahrhunderts,
 einem Liebeslied mit dem Text:
„Sie gleicht einem Rosenstock“.
    Obwohl Luther es als Sololied konzipiert hatte,
fand es bald Eingang in den Gemeindegesang.
Um eine solche Kontrafaktur
handelt es sich auch
bei Martin Luthers bekanntem Weihnachtslied
„Vom Himmel hoch, da komm ich her“,
bei dem er die Melodie eines bekannten Tanzliedes,
das zur Gattung der Kranzlieder gehört,
übernimmt.
    Jobst Gutknecht publizierte in Nürnberg
das sogenannte „Achtliederbuch“ im Jahr 1524,
das am Anfang der Geschichte
des evangelischen Gesangbuches steht.
Luthers Psalmlied „Ach Gott, vom Himmel sieh darein“
sowie sein Osterlied
„Nun freut euch, lieben Christen g’mein“
sind hier erstmals abgedruckt.

 
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