St. Vincenz zu Altenhagen I

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Andacht für die Woche vom 27. März bis 2. April 2022

26.03.2022

Andacht für die Woche
vom 27. März bis 2. April 2022
über die Wochenlied des Sonntags
Lätare
„Korn, das in die Erde“
Verfasser:
Superintendent in Ruhe Wilhelm Niedernolte
(Eldagsen)

  1. Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt,
    Keim, der aus dem Acker in den Morgen dringt.

Liebe lebt auf, die längst erstorben schien:
Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.

  1. Über Gottes Liebe brach die Welt den Stab,
    wälzte ihren Felsen vor der Liebe Grab.
    Jesus ist tot. Wie sollte er noch fliehn?
    Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.
  2. Im Gestein verloren Gottes Samenkorn,
    unser Herz gefangen in Gestrüpp und Dorn.
    Hin ging die Nacht, der dritte Tag erschien.
    Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.
    Evangelisches Gesangbuch Nr.98 „Korn, das in die Erde“


Liebe Leserin! Lieber Leser!

Die alten Passionslieder
beschreiben oft in grausamen Bildern
das Leiden und Sterben Jesu Christi:

 „O Haupt voll Blut und Wunden,
voll Schmerz und voller Hohn“
oder „Ich bins, ich sollte büßen
an Händen und an Füßen
gebunden in der Höll.“

   Die Passionszeit ist auch in diesem Jahr
reich an Bildern,
auch an Bildern des Grauens.

Die Bilder, die uns vom Krieg in der Ukraine erreichen,
von den zerbombten Häusern,
von den fliehenden Menschen,
sind kaum zu ertragen.
Das ist die Leidenszeit,
die Passionszeit in diesem Jahr.

   Das Lied für diese Woche
spricht eine andere Sprache.
Es lebt zwar wie die alten Passionschoräle
von Bildern. Von großen Bildern.
Aber sie malen nicht aus,
sie deuten nur an.
Sie springen uns
nicht blutig und dornig ins Gesicht.
Sie entfalten ihre Kraft auf andere Weise.
Das tut mir gut
mitten in dieser Passionszeit
mit ihren grausigen Bildern.

Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt,
 Keim, der aus dem Acker in den Morgen dringt.
Liebe lebt auf,
die längst erstorben schien:
Liebe wächst wie Weizen,
und ihr Halm ist grün.

    Da ist eine andere Gewalt am Werk,
die Gewalt der Schöpfung,
die wir in jedem Frühjahr
neu erleben können.
Allerdings habe in diesem Jahr
wieder einmal den Moment verpasst,
an dem der Frühling begann.
Plötzlich war es wieder da,
das Leben, das Vogelgezwitscher,
das Grün, Blüten und Blätter.
Der Winter war dunkel und lang,
aber der Frühling kommt mit Macht.
Schaut nur, die Natur macht es euch vor:
Liebe lebt auf, die längst erstorben schien.
   Und da kommen dann auch wieder
die anderen Bilder von den Opfern
und ihren Angehörigen.
So viel Leid, so viel Elend,
alle Bilder des Schreckens,
sie wollen uns weismachen,
dass alles abgestorben ist.
Liebe lebt auf,
die längst erstorben schien.

Auch aus abgestorbenen Lebensbereichen
kann wieder etwas sprießen.
Das heißt nicht,
es wird wieder alles wie früher.
Aber das heißt,
dass aus den verprügelten,
mit Füßen getretenen,
abgeknallten Menschen und Hoffnungen
Neues entstehen kann.
Menschen müssen nicht sterben
an Enttäuschungen,
an Verlusten,
an Versäumnissen.
Davon hält dieses Lied
einen Keim der Hoffnung wach.

Über Gottes Liebe brach die Welt den Stab,
wälzte ihren Felsen vor der Liebe Grab.
Jesus ist tot. Wie sollte er noch fliehn?
Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün."

   Gott selbst scheitert mit seiner Liebe.
Sein Sohn Jesus stirbt unschuldig am Kreuz.
Die Menschen wollten diese Liebe nicht.
Sie haben sie nicht ertragen.
Ans Kreuz geschlagen haben sie den,
der Gottes Liebe in Person war.
Fertig gemacht, zur Strecke gebracht.
Einen Felsen vor das Grab gewälzt,
ihm den Weg abgeschnitten.
Aber die Kraft des Weizenkorns
brachte auch diesen Stein ins Rollen.
Liebe wächst wie Weizen,
und ihr Halm ist grün.

Im Gestein verloren Gottes Samenkorn,
unser Herz gefangen in Gestrüpp und Dorn.
Hin ging die Nacht,
der dritte Tag erschien.
Liebe wächst wie Weizen,
und ihr Halm ist grün.

   Nun sind wir mit dabei,
hängen mit drin.
Wir sind gar nicht
nur Betrachter der Passion Christi,
sind nie nur Zuschauer
vor den Bildschirmen
mit ihren Schreckensnachrichten.
Wir sind tief verstrickt in diese Geschichten.
Jetzt, in der letzten Strophe,
finden wir uns wieder
als ein Samenkorn,
das ausgestreut wird
wie in jenem Gleichnis vom Sämann,
der ausging zu säen.
     Wir finden uns
in verschiedenen Lebenssituationen
mit unterschiedlichen Ausgangsbedingungen vor.
Mal gibt der Ackerboden unseres Lebens
mehr, mal weniger her
zum Wachsen und Gedeihen,
mal schießt es schnell und rasant in die Höhe,
mal geht es eher in die Breite,
mal halten wir uns gerade so über Wasser.
Und dann gibt es auch diese Zeiten,
von denen das Lied sagt:
„Unser Herz gefangen
in Gestrüpp und Dorn."

Da hängen wir fest,
kommen nicht von der Stelle,
weder vor noch zurück,
und jede Bewegung schmerzt.
Alle unsere Leidensgeschichten
sind hier ins biblische Gleichnis
vom Samenkorn gefasst,
das irgendwo hinfällt,
wo es nicht aufgehen kann,
sich nicht entfalten,
nicht seiner Bestimmung
entgegenwachsen.

   Hin ging die Nacht.
Es ist die Nacht,
die auf den Karfreitag folgt.
In ihr sind viele Passionsgeschichten zu Hause.
In ihrem Dunkel sitzen viele Menschen gefangen.

Warum muss es diese Nacht
und einen ganzen Karsamstag
und noch eine Nacht geben,
bevor die ersten Menschen
von der Auferstehung erfahren?
Warum wird es nicht schneller Ostern?
Warum diese drei Tage?
Im Glaubensbekenntnis heißt es an dieser Stelle:
Hinabgestiegen in das Reich des Todes.
Das ist sozusagen die Erklärung
aus göttlicher Sicht.

Christus nimmt nicht nur den Tod auf sich,
er geht auch durch die Hölle,
durchmisst alle denkbaren Schreckenstiefen.
Er lotet die Tiefe des Todes aus.
Er geht bis in den letzten Winkel der Hölle.

Und auf der menschlichen Seite?
Auf der Seite unserer Erfahrung?
Da stehen diese drei Tage
für all das Ausmaß menschlichen Elends,
das ausgehalten sein muss,
das sich nicht wegwischen lässt
mit ein paar Worten,

das sich nicht auf morgen vertrösten lässt.
Ja, es gibt Menschen,
die im Karsamstag wohnen,
viele Tage und Nächte,
vielleicht sogar jahrelang.
Aber auch ihnen gilt:
Der dritte Tag erscheint.
Jesus zieht uns mit
in das Licht des Ostermorgens,
lässt uns teilhaben an seiner Auferstehung,
oder wie dieses Lied es nicht müde wird zu sagen:
Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.


Bleiben Sie behütet.
Wilhelm Niedernolte

 
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