St. Vincenz zu Altenhagen I

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Andacht für die Woche vom 22. Mai bis 24. Mai 2022

22.05.2022

Andacht für die Woche
vom 22. Mai bis 28. Mai 2022
über die Wochenlied des Sonntags Rogate
„Vater unser im Himmelreich“  (EG 344)
Verfasser:
Superintendent in Ruhe Wilhelm Niedernolte
(Eldagsen)


Liebe Leserin, lieber Leser,

Martin Luther,
der den Text dieses Liedes gedichtet
und mit einer älteren Melodie
der Böhmischen Brüder versehen hat,
wollte, dass die Grundlagen des christlichen Glaubens
dem ganzen Volk nahe gebracht werden,
Jungen und Alten,
Gebildeten und weniger Gebildeten gleichermaßen.
Zur Zeit Luthers
konnte ein Großteil der Bevölkerung nicht lesen.
Deshalb schrieb er zu allen Hauptstücken
im Katechismus auch Lieder mit deutschen Text,
schon früh zu den 10 Geboten,
zum Glaubensbekenntnis und zum Abendmahl,
später dann auch zum Vater unser und zur Taufe.
Das Lied zum Vaterunser,
das Lied für diese Woche,
ist ein gesungenes Gebet.
Im Aufbau folgt es
genau dem Vaterunser aus der Bibel.

Vers 1:

Vater unser im Himmelreich,
der du uns alle heißest gleich
Brüder sein und dich rufen an
und willst das Beten von uns han:
Gib, dass nicht bet allein der Mund,
hilf, dass es geh von Herzensgrund.

Die erste Strophe
beschäftigt sich mit der Anrede:
„Vater unser im Himmelreich“.
Zweierlei kommt darin zum Ausdruck.
1) Der unendliche Abstand
zwischen Gott und den Menschen:
Gott im Himmel und wir auf der Erde.
Und 2) – im Gegensatz dazu –
das vertraute Verhältnis
zwischen dem Schöpfer und seinen Geschöpfen,
eine enge und liebevolle Beziehung
wie zwischen Vater und Sohn,
Vater und Tochter.
Wir dürfen uns mit unseren Anliegen
nicht nur ohne Scheu an Gott wenden;
er wünscht sich das sogar von uns.
Besondere Aufmerksamkeit
schenkt Luther dem Wort „unser“.
Wir stehen nicht allein vor Gott,
sondern in der Gemeinschaft von Brüdern.
Die Schwestern hat Luther
damals leider noch nicht
hinreichend im Blick gehabt.
Doch ist es sicher ganz in seinem Sinn,
und noch mehr in unserem Sinn, 
wenn wir sie heute mit dazu nehmen.

Das Bild von Gott als unserem Vater
spricht besonders die Menschen an,
die auf gute „Vater – Erfahrungen“
zurückblicken können.
In der Bibel
und in anderen Liedern unseres Gesangbuches
wird von Gott auch als von einer Mutter gesprochen.
Es wäre also auch angemessen,
das Gebet mit den Worten zu beginnen:
„Mutter unser im Himmel...“

Verse 2-4:

Geheiligt werd der Name dein,
dein Wort bei uns hilf halten rein,
dass auch wir leben heiliglich,
nach deinem Namen würdiglich.
Behüt uns, Herr, vor falscher Lehr,
das arm verführet Volk bekehr.


Es komm dein Reich zu dieser Zeit
und dort hernach in Ewigkeit.
Der Heilig Geist uns wohne bei
mit seinen Gaben mancherlei;
des Satans Zorn und groß Gewalt
zerbrich, vor ihm dein Kirch erhalt.


Dein Will gescheh, Herr Gott, zugleich
auf Erden wie im Himmelreich.
Gib uns Geduld in Leidenszeit,
gehorsam sein in Lieb und Leid;
wehr und steu’r allem Fleisch und Blut,

das wider deinen Willen tut.

Diese Strophen beinhalten
die ersten drei Bitten des Vaterunsers,
die Bitten, die auf Gott bezogen sind.
Geheiligt werde dein Name,
das heißt für Luther vor allem,
dass der christliche Glaube
rein und unverfälscht weitergegeben wird,
wie er in der Bibel zu finden ist:
mit Jesus Christus als ihrer Mitte.
Es soll aber nicht beim Reden bleiben.
Aus dem Reden soll ein Handeln erwachsen,
das dem Willen Gottes entspricht.
Erst bittet Luther positiv darum,
dass das bei uns geschehen möge,
dann negativ darum,
dass wir von Irrlehren verschont bleiben
und dass Menschen,
die sich haben verführen lassen,
auf einen guten Weg zurückfinden.
Auch in der dritten Strophe
kommt erst das Positive
und dann das Negative.
„Dein Reich komme“.
Es geht Luther
nicht um das Reich Gottes an sich,
sondern darum,
dass es auch zu uns kommt,
in Ewigkeit, aber auch schon jetzt.
Das geschieht,
indem Gott uns seinen Heiligen Geist gibt
und wir dann durch seine Gnade
der frohen Botschaft glauben
und ein Leben führen,
wie es Gott gefällt.
Dann hat der Teufel
keine Macht mehr über uns,
dann kann er die Kirche nicht zerstören
und ein friedliches Miteinander der Menschen
nicht verhindern.
Bei der nächsten Bitte
„Dein Wille geschehe“
denkt Luther zwar auch an das Himmelreich,
konkret wird er
jedoch nur in Bezug
auf unser irdisches Leben.
Er bittet um Geduld in schweren Zeiten,
darum, dass wir uns im Glück und im Unglück
vom Willen Gottes leiten lassen,
in Egoismus und Selbstfälligkeit.


Vers 5:

Gib uns heut unser täglich Brot

und was man b'darf zur Leibesnot;

behüt uns, Herr, vor Unfried, Streit,

vor Seuchen und vor teurer Zeit,

dass wir in gutem Frieden stehn,

der Sorg und Geizes müßig gehen.

In der Mitte des Vaterunsers
und auch in der Mitte des Liedes
steht die 4. Bitte:
„Unser tägliches Brot gibt uns heute.“
Das tägliche Brot steht für alles,
was wir zum Leben brauchen,
nicht irgendwann in ferner Zukunft,
sondern heute.
Im Kleinen Katechismus nennt Luther
„Essen, Trinken, Kleider, Schuh,
Haus, Hof, Acker, Vieh,
Geld, Gut, fromme Eheleute,
fromme Kinder, fromme Gehilfen,
fromme und treue Oberherren,
gute Regierung, gut Wetter,
Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre,
gute Freunde, getreue Nachbarn
und desgleichen“.
Teilweise ist das sicher zeitbedingt,
aber die Sehnsucht nach Frieden,
die im Lied zum Ausdruck kommt,
ist heute genauso aktuell wie damals,
nicht nur in der Ukraine.
Die Angst vor Seuchen und vor Inflation
war damals wahrscheinlich größer als heute.
Auch in dieser Strophe führt Luther
am Ende aus, was Gott verhindern möge:
Dass wir uns zu viele Sorgen machen
und dass uns von der Angst bestimmen lassen,
wir könnten selbst nicht genug haben,
wenn wir anderen etwas abgeben.

Verse 6-8:

All unsre Schuld vergib uns, Herr,
dass sie uns nicht betrübe mehr,
wie wir auch unsern Schuldigern
ihr Schuld und Fehl vergeben gern.
Zu dienen mach uns all bereit
in rechter Lieb und Einigkeit.


Führ uns, Herr, in Versuchung nicht,
wenn uns der böse Geist anficht;
zur linken und zur rechten Hand
hilf uns tun starken Widerstand
im Glauben fest und wohlgerüst’
und durch des Heilgen Geistes Trost.


Von allem Übel uns erlös;
es sind die Zeit und Tage bös.
Erlös uns vom ewigen Tod
und tröst uns in der letzten Not.
Bescher uns auch ein seligs End,
nimm unsre Seel in deine Händ.

Diese  drei Strophen
mögen uns heutzutage
als weniger wichtig erscheinen.
Dass Luther das
auch so gesehen hat,
ist zu bezweifeln.
„Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir
vergeben unseren Schuldigern.“
Das Thema Schuld und Vergebung
bestimmte die Anfänge
von Luthers Glaubenslebens.
Er litt unsäglich darunter,
dass es ihm nicht gelang,
perfekt zu sein.
Er hatte Angst vor einem strafenden Gott –
bis er erkannte,
dass Gott uns aus Gnade vergibt,
nicht weil wir es verdient hätten.
Vor einem Rückfall
in diese alten Zeiten graust ihm.
Er bittet Gott, das zu verhindern.
Gleichzeitig schaut er nach vorne
und freut sich darüber,
dass er, weil ihm vergeben wurde,
auch anderen gerne vergibt.
Anstatt anderen ihre Schuld vorzuhalten,
will er ihnen helfen, wo er nur kann.
Dabei hofft er auf Gottes Hilfe.
Und doch merkt er,
dass der Teufel immer wieder versucht,
ihn mit allen möglichen Verlockungen
von Gott wegzulocken.
Der Teufel ist für Luther ganz real.
Aber genauso real
und viel stärker ist Gott.
Der kann uns einen festen Glauben schenken
und durch seinen Heiligen Geist trösten.
So versteht Luther die vorletzte Bitte:
„Und führe uns nicht Versuchung.“
Bei der letzten Bitte
„Sondern erlöse uns von dem Bösen“
denkt Luther zunächst
an all die Übel seiner und unserer Zeit,
in Kirche, Gesellschaft und Politik.
Aber denkt auch weiter.
Seinen letzten und entscheidenden Wunsch
formuliert er im Kleinen Katechismus so:
„dass uns der Vater im Himmel
… zuletzt, wenn unser Stündlein kommt,
ein seliges Ende beschere
und mit Gnaden
von diesem Jammertal zu sich nehme
in den Himmel.“
Noch schöner ist die Formulierung im Lied:
„Bescher uns auch ein seligs End,
nimm unsere Seel in deine Händ.“

Vers 9:

Amen, das ist: Es werde wahr.
Stärk unsern Glauben immerdar,
auf dass wir ja nicht zweifeln dran,
was wir hiermit gebeten han
auf dein Wort, in dem Namen dein.
So sprechen wir das Amen fein.

Die neunte und letzte Strophe
schließt das Lied ab
und bildet zusammen
mit der ersten Strophe den Rahmen.
Zunächst zeigt sich Luther
hier als Glaubenslehrer
und übersetzt
das einzige hebräische Wort
in der ansonsten
deutschen Fassung des Vaterunsers:
„Amen, das ist: es werde wahr.“
Luther will, dass die Menschen verstehen,
was sie beten und glauben.
Und dann nimmt er,
wie am Anfang des Liedes,
das Verhältnis zwischen Gott
und Mensch in den Blick.
Gott stärkt unseren Glauben
und nimmt uns die Zweifel.
Wir beten, im Vertrauen auf Gottes Wort,
ja in seinem Namen –
ein Geschenk des Vaters an seine Kinder.
Ihr Gebet endet vertrauensvoll mit Amen.


Bleiben Sie behütet

Wilhelm Niedernolte

 
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