St. Vincenz zu Altenhagen I

Archiv

Andacht für die Woche vom 20. bis 26. März 2022

18.03.2022

Andacht für die Woche vom 20. bis 26. März 2022
über die Wochenlied  des Sonntags Oculi
„Jesu, geh voran auf der Lebensbahn“
und
„Kreuz, auf das ich schaue“
Verfasser: Pfarrer in Ruhe Jürgen-Peter Lesch
(
Springe – früher Pfarrer der EKD in Hannover)


V o r w o r t  
z u   d e n   z u k ü n f t i g e n
O n l i n e – A n d a c h t e n


Liebe Leserinnen und Leser,
seit zwei Jahren finden Sie an dieser Stelle
wöchentlich wechselnde Andachten.
Darin standen im letzten Jahr
Gedanken zu den jeweiligen Wochenpsalmen.
Von diesem Sonntag an werden Andachten
über die jeweiligen Wochenlieder zu lesen sein.
Was es mit diesen „Wochenliedern“
auf sich hat, soll zunächst kurz erläutert werden.
    
Was ein „Wochenlied“ ist,
wird in der sogenannten Perikopen-Ordnung festgelegt.
Eine überarbeitete Ordnung
ist seit Advent 2018 in Gebrauch.
Der Begriff Perikope (= Abschnitt)
war ursprünglich die Bezeichnung
für einen kurzen Textabschnitt aus der Bibel.
Heute umfasst der Begriff
die biblischen Lesungen und Predigttexte,
die für die Gottesdienste
an Sonn- und Feiertagen ausgewählt wurden.
Durch die Perikopen,
zu denen im weiteren Sinn auch die Wochenpsalmen
und die Lieder eines Sonntags gehören (Wochenlieder),
erhält jeder Sonntag
seinen besonderen Charakter.
    
Im Laufe eines Kirchenjahres
kommen ganz unterschiedliche biblische Texte zu Wort.
Die Geschichte Jesu Christi
wird zu den großen Festzeiten
von Weihnachten und Ostern
mit den Vorbereitungszeiten Advent
und Passionszeit thematisiert.
Im zweiten Teil des Kirchenjahres werden Lebens-
und Glaubensthemen der christlichen Gemeinde
dargestellt und vertieft.
Dabei kommen Texte aus der gesamten Bibel,
d.h. aus dem Alten und dem Neuen Testament
 und neuerdings auch aus den Apokryphen zu Wort.
    
Die Lesungen biblischer Texte
im Gottesdienst hat eine lange Geschichte.
Schon im rabbinischen Judentum
wurden Texte aus dem Teil der Bibel,
den wir Altes Testament nennen,
bei den gottesdienstlichen Feiern
in der Synagoge der Reihe nach verlesen.
Diese Lesungen von Bibeltexten
übernahmen auch erste christlichen Gemeinden.
Seit Ende des 3. Jahrhunderts
gibt es festgelegte Leseordnungen
in den christlichen Kirchen.
    
Die einzelnen Perikopen-Texte
 sind zu „Lektionaren“, also (Vor-)Lesebüchern,
zusammengestellt.
Die gegenwärtige Auswahl der Texte
und die Festlegung,
an welchen Tagen sie gelesen werden sollen,
erfolgte auf Vorschlag
der Arbeitsgruppe Perikopenrevision
durch die jeweiligen Kirchenleitungen.
In dieser neuen
„Ordnung gottesdienstlicher Texte und Lieder“ (OGTL)
sind nun statt einem Wochenlied
jetzt zwei Lieder genannt.
Die beiden Lieder unterscheiden sich
in Epochenzugehörigkeit, Stilistik und Ähnlichem
deutlich voneinander.
Dabei sollen sie mit den Lese-
und Predigttexten der jeweiligen Sonn- und Feiertage
im Sinne der Konsonanz
deutlicher zusammenklingen als bisher.
„Gegenüber dem alten,
im Kern aus den 1950-er Jahren
stammenden Wochenliedplan
verraten die Lieder in OGTL
einen größeren Modernisierungsschritt
als die Texte“
heißt es in der Einführung zur neuen Perikopen-Ordnung.
Allein das ist schon ein Grund dafür,
in den Andachten nun die Wochenlieder
näher zu betrachten.

 

-----------------------------


Wochenlieder für den Sonntag Okuli,
den 3. Sonntag in der Passionszeit

Die beiden Wochenlieder
stammen aus unterschiedlichen Zeiten,
sie haben verschiedene theologische Hintergründe
und Zielsetzungen.
     Das ältere Lied „Jesu, geh voran“
stammt vom Gründer der Herrnhuter Brüdergemeine,
Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf.
Jesu, geh voran
auf der Lebensbahn!
Und wir wollen nicht verweilen,
dir getreulich nachzueilen;
führ uns an der Hand
bis ins Vaterland.
     Soll’s uns hart ergehn,
lass uns feste stehn
und auch in den schwersten Tagen
niemals über Lasten klagen;
denn durch Trübsal hier
geht der Weg zu dir.
     Rühret eigner Schmerz
irgend unser Herz,
kümmert uns ein fremdes Leiden,
o so gib Geduld zu beiden;
richte unsern Sinn
auf das Ende hin.
     Ordne unsern Gang,
Jesu, lebenslang.
Führst du uns durch raue Wege,
gib uns auch die nöt’ge Pflege;
tu uns nach dem Lauf
deine Türe auf.

Zinzendorf hat den Liedtext im Jahr 1725 verfasst.
Er geht auf Strophen
aus den schon 1721 niedergeschriebenen
Morgen-Gedanken und dem Lied
Seelenbräutigam, o du Gotteslamm
zurück.
Von 1716 bis 1719 hatte Zinzendorf
in Wittenberg Rechtswissenschaft studiert.
Dort hatte er sich offen als „Pietist“ bekannt
und sich neben dem Studium
mit theologischen Fragen beschäftigt.
In den Jahren 1719 bis 1721
hatte er eine zweijährige Reise
durch einige deutsche Länder
sowie durch die Niederlande
und Frankreich unternommen.
In Düsseldorf hatte ihn
ein Passionsgemälde des italienischen Malers
Domenico Feti (1589 – 1624)
mit der Bildunterschrift:
Ego pro te haec passus sum.
Tu vero, quid fecisti pro me?

(Ich habe dies für dich gelitten.
Was tust du wahrhaftig für mich?)
besonders beeindruckt.
Möglicherweise spielen
die Erfahrungen dieser zweijährigen Reise
mit in den Text des Liedes hinein.
     Die Melodie stammt von Adam Drese (1620 – 1701),
der ab 1652 Hofkapellmeister in Sachsen-Weimar war.
Zinzendorf übernahm sie
schon für sein Lied Seelenbräutigam.

Einer ganz anderen Sprache
bedient sich das zweite Wochenlied
„Kreuz, auf das ich schaue“
von Eckart Bücken aus dem Jahr 1982:
Kreuz, auf das ich schaue, steht als Zeichen da;
der, dem ich vertraue, ist in dir mir nah.
Kreuz, zu dem ich fliehe aus der Dunkelheit;
statt der Angst und Mühe ist nun Hoffnungszeit.
Kreuz, von dem ich gehe in den neuen Tag,
bleib in meiner Nähe, dass ich nicht verzag.
     Der Autor (geb. 1943) war zunächst Gemeindehelfer
in der kirchlichen Jugendarbeit.
Nach einem Studium der Sozialkunde
war er lange Jahre Referent für kulturelle Bildung
an der Akademie Remscheid
und im Amt für Jugendarbeit
der Evang. Kirche im Rheinland.
Im Jahr 1996 ging er nach Faßberg
in der Lüneburger Heide.
Dort war er bis 2007 als Diakon und Chorleiter tätig.
In seinem Passionslied will Bücken
ohne „konservativ-biblische Worthülsen“
(Bücken über seine Texte)
wesentliche Schlüsselbegriffe der christlichen Tradition
neu zur Entfaltung bringen
und so einen Zugang zu christlichen Themen
und Inhalten schaffen.
Hier soll ohne weitläufige Theologie
mit einfachen Worten
der Blick auf das Kreuz Christi
als Zeichen der Nähe Gottes,
als Zeichen der Hoffnung und Zuversicht
gerichtet werden.
     Die schlichte Melodie stammt
von dem ostdeutschen Kirchenmusiker
Lothar Graap (geb. 1933),
die langen Jahre das kirchenmusikalische Leben
in Cottbus geprägt und viele Kompositionen
für den Gottesdienst vorgelegt hat.
     Bei allen Unterschieden
lassen sich Gemeinsamkeiten
zwischen beiden Wochenliedern finden.
Dies gilt besonders dann,
wenn die Texte in den Zusammenhang
mit dem Wochenspruch gestellt werden.
Er steht im Evangelium nach Lukas
und lautet:
„Wer die Hand an den Pflug legt
und sieht zurück,
der ist nicht geschickt für das Reich Gottes“
(Lk 9,62).
Dieses bekannte Wort von Jesus
steht am Ende eines Textabschnitts,
in dem es darum geht,
sich ganz auf Jesus,
sich ganz auf seine Botschaft einzulassen.
Es geht um den freien,
unverstellten Blick nach vorn.

Wir wissen, wie schwer es ist,
sich von schlechten Erfahrungen,
aber auch von eigenen Fehlern
und Misserfolgen freizumachen.
Wie viel Zeit wir damit verbringen können,
über schiefe Worte
und missglücktes Handeln nachzudenken.
Lebenserfahrung kann hilfreich sein,
aber auch ein Klotz am Bein.
Im Grunde wissen wir doch,
dass es keinen Sinn hat,
über den zerbrochenen Milchkrug zu diskutieren
und dabei auf die Milchpfütze
am Boden vor uns zu starren.
Da kommt es zunächst darauf an,
einen Lappen oder einen Schwamm zu holen
und die Milch aufzuwischen.
Und lange darüber nachzudenken,
was nun der Grund dafür war,
dass der Milchtopf
zerbrochen auf dem Boden liegt,
hilft auch nicht wirklich weiter.
     Beide Wochenlieder nehmen‘
dagegen das in den Blick, was vor uns liegt.
Dabei fordern sie
aber nicht einfach zu einem
„Kopf hoch, schau nach vorne“
oder gar einem
„Kopf hoch,
 es wird schon nicht so schlimm werden“ auf.
Solche Sprüche helfen uns
in unserer gegenwärtigen Situation
überhaupt nicht weiter.
Die Botschaften der Wochenlieder
unterscheiden sich davon grundsätzlich,
denn sie nennen das Ziel,
den Punkt, den Ort,
auf den wir schauen können und dürfen.
Im Lied von Eckart Bücken
wird dieser Punkt ganz klar benannt.
Es ist das Kreuz von Jesus,
und zwar das leere Kreuz.
Das leere Kreuz ist Zeugnis
für die Auferstehung von Jesus von Nazareth.
Es ist das Zeugnis dafür,
dass dem Tod die Macht genommen ist.
Und es ist Zeugnis dafür,
dass alles, was uns belastet,
unsere Fehler und unser Versagen
und unsere Schuld
uns nicht weiter belasten müssen und können
auf unserem weiteren Weg.
Wir können immer wieder neu anfangen.
Wir können immer wieder neu versuchen,
unseren Weg zu finden.

Und wenn es mir doch einmal nicht gelingt,
den Blick aus all den Sorgen und Fragen,
die mich umgeben,
zum Kreuz von Jesus zu heben,
helfen mir die Worte
von Nikolaus Ludwig von Zinzendorf.
Hier wird deutlich,
dass es um den nächsten Schritt,
die nächsten Meter meines Weges geht.
Die nächsten Schritte kann ich tun,
auch wenn ich das Ziel
einmal aus den Augen verliere.
Das kann ich,
denn ich habe das Ziel im Herzen.
Ob es mir dann gelingt,
nicht über Lasten zu klagen,
weiß ich nicht.
Ich denke, auch die Klage hat ihre Berechtigung.
Und manchmal müssen die Angst,
der Schmerz, die Sorge und das Leid
einfach aus mir herausbrechen können.
Doch auch das muss mich nicht zurückwerfen,
wenn ich das Kreuz vor Augen
oder auch nur im Herzen habe.
Und es bleibt mir die Bitte
an den auferstandenen Jesus:
„Bleib in meiner Nähe, dass ich nicht verzag“.

Dass Sie in den kommenden Tagen
und Wochen nicht verzagen,
wünsche ich Ihnen sehr,

Jürgen-Peter Lesch

 
Powered by CMSimpleRealBlog
nach oben