St. Vincenz zu Altenhagen I

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Andacht für die Woche vom 20. bis 26. Februar 2022

18.02.2022

Andacht für die Woche vom 20. bis 26. Februar  2022
über den Wochenpalm des Sonntags Sexagesimae
Psalm 119
Verfasser: Pfarrer in Ruhe Jürgen-Peter Lesch
(
Springe – früher Pfarrer der EKD in Hannover)

HERR, dein Wort bleibt ewiglich,
so weit der Himmel reicht;
deine Wahrheit währet für und für.
Du hast die Erde fest gegründet,
und sie bleibt stehen.
Nach deinen Ordnungen bestehen sie bis heute;
denn es muss dir alles dienen.
Wenn dein Gesetz nicht mein Trost gewesen wäre,
so wäre ich vergangen in meinem Elend.
Dein Wort ist meinem Munde süßer als Honig.
Dein Wort macht mich klug;
darum hasse ich alle falschen Wege.
Dein Wort ist meines Fußes Leuchte
und ein Licht auf meinem Wege.
Erhalte mich nach deinem Wort,
dass ich lebe,
und lass mich nicht zuschanden werden
in meiner Hoffnung.
aus Psalm 119 – Lutherbibel 2017

Manchmal passiert es mir,
dass ich im Internet „nur so“ unterwegs bin.
Dabei stieß ich vor kurzer Zeit auf die Frage:
„Wie kann ich die Psalmen
in einem Monat auswendig lernen?“
Die Antwort, die von sechs Nutzer*innen
als „hilfreich“ bewertet wurde, lautete:
„Geht es um eine Wette, oder was?
Niemand muss alle 150 Psalmen
auswendig können.
Aber wenn Du es unbedingt willst:
Stures Pauken ist die einzige Technik.
Fang bei 119 an, das ist der Längste.
Wenn Du den schaffst,
gehen die anderen leichter …
Gruß, q.“

Ob es ein sinnvoller und hilfreicher Weg ist,
beim Auswendiglernen mit dem Psalm 119 zu beginnen,
bezweifle ich allerdings.
Es gibt viele Psalmen, die nicht nur kürzer,
sondern auch in ihren Aussagen prägnanter sind.
Sie können und sollen in bestimmten Lebenssituationen
Erfahrungen von Leid Worte verleihen,
Halt und Orientierung geben,
Trost spenden und Mut machen.
So sind z.B.
die Psalmen 22 und 130
eindrückliche Klagelieder:
„Mein Gott, mein Gott,
warum hast du mich verlassen?“
und
„Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir.“
Der Psalm 23
dagegen spricht vom unbedingten Vertrauen
auf Gott:
„Der Herr ist mein Hirte,
mir wird nichts mangeln.“.
Und zum Reformationsfest gehört
die schon fast trotzige Vertonung des Psalms 46
durch Martin Luther.
Da wird aus dem Psalmtext
„Der Herr Zebaoth ist mit uns,
der Gott Jakobs ist unser Schutz“
die Liedzeile
„Ein feste Burg ist unser Gott,
ein‘ gute Wehr und Waffen“.
Der Psalm 122
schließlich hat es in Großbritannien
zu einer traditionellen Hymne gebracht
und wurde zuletzt 2011
bei der Hochzeit der Herzogin
und des Herzogs von Cambridge,
also von Kate und William,
in der Westminster Abbey gespielt.
    
Zurück zum Psalm 119
und der Frage nach dem Auswendiglernen.
Tatsächlich bietet der Psalm
trotz seiner Länge eine Hilfe dafür an.
Seine 176 Verse sind
nach den 22 Buchstaben
des hebräischen Alphabets gegliedert.
Jeweils acht Verse
beginnen mit demselben Buchstaben.
in der Übersetzung Luthers
ist diese Gleichförmigkeit
ein wenig nachgeahmt,
wenn drei Verse beginnen mit:
„Dein Wort …“.
Damit geht leider jedoch etwas
von der inhaltlichen Vielfalt des Textes verloren.
Zwar ist in allen acht Versen
vom „Wort Gottes“ die Rede.
Doch im hebräischen Text
stehen dafür verschiedene Begriffe.
Es beginnt zunächst mit dem „Wort“,
daran schließen sich
ganz unterschiedliche Bezeichnungen an:
Wahrheit, Ordnungen, Gesetze
oder Weisungen, Verheißungen, Mahnungen
oder Vorschriften
und schließlich Zusagen oder Versprechen.
    
Diese Vielfalt macht deutlich:
Wenn wir das „Wort Gottes“, ‚
das uns in der Bibel begegnet,
‚nur als „Gesetz“ verstehen,
betonen wir nur einen Aspekt.
Wichtig ist,
dass das „Wort Gottes“
uns in der gesamten Bibel begegnet,
im Alten wie im Neuen Testament.
Es wäre ein großer Fehler,
darunter im Alten Testament
nur ein enges und strenges Gesetz Gottes
zu verstehen
und im Neuen Testament
nur ein Versprechen von einem Leben
in der Liebe Gottes,
wie sie uns in Jesus begegnet.
„Wort Gottes“ ist vielmehr
ein Ausdruck für die vorsorglichen
und fürsorglichen Ordnungen Gottes.
Der Psalmbeter sieht diese Ordnungen
in der und durch die Schöpfung des Himmels
und der Erde bestätigt.
Wir nehmen das in unserem Glaubensbekenntnis auf:
„Ich glaube an Gott …
den Schöpfer des Himmels und der Erde“.
Diese Vorstellung
von der ordnenden und bewahrenden Hand Gottes
 erinnert uns daran,
dass das Leben jeder und jedes Einzelnen
auf wunderbare Weise eingebettet ist
in die vorsorglichen
und fürsorglichen Ordnungen Gottes.
Das entbindet uns nicht davon,
für uns, für andere Menschen,
für Tiere und Pflanzen,
ja für die gesamte Schöpfung auf unserer Erde
Verantwortung zu übernehmen.
Das Wort Gottes,
die Ordnungen und Gesetze Gottes
geben uns einen weiten Rahmen
für die Gestaltung unseres Lebens
in dieser Verantwortung.
    
Das Besondere, das Wunderbare daran ist,
dass dieses Wort Gottes lebendig geworden ist.
Es ist lebendig
und leibhaftig geworden in Jesus Christus.
Im Johannes-Evangelium lesen wir:
„Und das Wort ward Fleisch
und wohnte unter uns,
und wir sahen seine Herrlichkeit,
eine Herrlichkeit
als des eingeborenen Sohnes
vom Vater,
voller Gnade und Wahrheit.“
(Joh 1,14).
Oder anders übersetzt:
Er, das Wort, wurde ein Mensch.
Er lebte bei uns,
und wir sahen seine Herrlichkeit.
Es war die Herrlichkeit,
die ihm der Vater gegeben hat –
ihm, seinem einzigen Sohn.
Er war ganz erfüllt
von Gottes Gnade und Wahrheit“.

    
Jesus Christus ist das lebendige Wort Gottes.
In seiner Botschaft von der Freiheit der Kinder Gottes
und in seinem Eintreten für das Leben
gegen alle Todesängste und Todessehnsüchte
wird die Liebe Gottes zu seiner Schöpfung sichtbar.
Darum können wir die Bitte des Psalmbeters
um ein erfülltes Leben hier und heute
voller Zuversicht sprechen:
„Erhalte mich nach deinem Wort,
dass ich lebe,
und lass mich nicht zuschanden werden
in meiner Hoffnung.“

Amen.

 
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