St. Vincenz zu Altenhagen I

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Andacht für die Woche vom 12.3. bis 18.3.2023

11.03.2023

Andacht für die Woche
vom 12.3. bis 18.3.2023
zum Evangelium der Woche
Verfasser: Pfarrer in Ruhe Jürgen-Peter Lesch
(
Springe – früher Pfarrer der EKD in Hannover)

Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,
seit nunmehr drei Jahren
stehen an dieser Stelle
wöchentlich wechselnde Andachten.
Das waren im letzten Jahr
Gedanken zu den jeweiligen Wochenliedern.
Von diesem Sonntag an,
dem Sonntag „Okuli“,
werden nun Andachten
über das Evangelium zu lesen sein.
Was es damit auf sich hat,
soll hier kurz erläutert werden.

Das Kirchenjahr beginnt,
anders als das Kalenderjahr,
mit dem 1. Advent
und endet mit dem Ewigkeits-
oder Totensonntag.
Welche Texte aus der Bibel
am jeweiligen Sonn- und Feiertag
vorgelesen werden
und/oder als Grundlage
für die Predigt dienen,
wird in der sogenannten
Perikopen-Ordnung festgelegt.

Der Begriff Perikope (= Abschnitt)
war ursprünglich die Bezeichnung
für einen kurzen Textabschnitt aus der Bibel.
Durch die Perikopen,
zu denen im weiteren Sinn
auch die Wochenpsalmen
und die Wochenlieder gehören,
erhält jeder Sonntag
seinen besonderen Charakter.

Im Laufe eines Kirchenjahres
kommen ganz unterschiedliche
biblische Texte zu Wort.
Die Geschichte Jesu Christi
wird zu den großen Festzeiten
von Weihnachten und Ostern
mit den Vorbereitungszeiten
Advent und Passionszeit thematisiert.
Im zweiten Teil des Kirchenjahres
werden Lebens- und Glaubensthemen
der christlichen Gemeinde
dargestellt und vertieft.
Dabei kommen Texte
aus der gesamten Bibel,
d.h. aus dem Alten
und dem Neuen Testament
und aus den Apokryphen, zu Wort.

Das Vorlesen biblischer Texte
im Gottesdienst hat eine lange Geschichte.
Schon im rabbinischen Judentum
wurden Texte aus dem Teil der Bibel,
den wir Altes Testament nennen,
bei den gottesdienstlichen Feiern
in der Synagoge verlesen.
Diese Lesungen übernahmen vermutlich
erste christliche Gemeinden,
die aus jüdischen Gemeinden
entstanden waren.
Später wurden Abschnitte
aus den Briefen des Paulus
und anderer Apostel
sowie aus den Evangelien
im Gottesdienst vorgelesen.
Dazu kamen schließlich
wieder Texte aus dem Alten Testament
und den Apokryphen.
Diese wurden nun allerdings
auf die Botschaft
und das Leben von Jesus Christus bezogen.

Um das Jahr 800 wurde festgelegt,
dass im Gottesdienst
je ein Text aus den „Episteln“
(Briefe, Apostelgeschichte und Offenbarung),
den Evangelien und dem Alten Testament
vorgelesen werden sollte.
Bei der Eisenacher Konferenz
im Jahr 1896
wurde dann beschlossen,
dass zusätzlich eine zweite neue Epistel-
und Evangeliumsreihe
und ein weiterer Text aus dem Alten Testament
für jeden Sonn- und Feiertag dazukommt.
Hintergrund dieser Entscheidung
war die Überlegung,
dass mehr Texte aus der Bibel
zu Gehör gebracht werden sollten.
Zwei oder drei dieser Texte
werden heute im Gottesdienst gelesen,
doch immer ist das Evangelium dabei.
Es gibt dem jeweiligen Sonntag
sein besonderes Gesicht
und wirkt sich bis in die Gebete
und die Liedauswahl hinein aus.
Dazu kommt entweder
eine Lesung aus dem Alten Testament
oder eine Epistellesung.
Der Wochenspruch stammt jeweils
aus einem dieser Texte.
In der kommenden Zeit
wird nun also jeweils
das Evangelium des Sonntags
Grundlage der Wochenandacht sein.

 

Das Evangelium für den Sonntag Okuli,
den 3. Sonntag in der Passionszeit (Lk 9,57-62)

Liebe Leserin, lieber Leser,

„wenn das jetzt schief läuft,
tanke ich noch einmal mein Auto voll,
 fahre so weit, bis der Tank leer ist,
steige aus und fange dort ein neues Leben an!“
Das ist ein Zitat aus einem Film,
den ich irgendwann in den letzten Wochen
gesehen habe.
An den Titel kann ich mich nicht erinnern.
Aber an den Satz, den eine Frau mittleren Alters sagte.
Das kann ich gut nachvollziehen,
denn es gab in meinen Leben
etliche Situationen,
in denen ich genau
das hätte sagen können.
Das ist ein Wunsch,
den viele Menschen ab und zu haben:
noch einmal ganz neu anfangen,
alles hinter sich lassen,
vergessen, was falsch gelaufen ist,
und unbelastet einen ganz neuen Weg gehen.
    Menschen, die so etwas denken,
begegnen uns in dem Abschnitt
aus dem Evangelium nach Lukas
für den Sonntag Okuli.
Dort lesen wir:
Unterwegs sagte jemand zu Jesus:
„Ich will dir folgen, wohin du auch gehst!“

Jesus antwortete:
 „Die Füchse haben ihren Bau
und die Vögel ihr Nest.
Aber der Menschensohn hat keinen Ort,
an dem er sich ausruhen kann.“

Einen anderen forderte Jesus auf:
„Folge mir!“
Aber der sagte:
„Herr, erlaube mir,
 zuerst noch einmal
nach Hause zu gehen
 und meinen Vater zu begraben.“

Aber Jesus antwortete:
 „Überlass es den Toten,
ihre Toten zu begraben.
Du aber geh los
und verkünde das Reich Gottes!“

Wieder ein anderer sagte zu Jesus:
„Ich will dir folgen, Herr!
Doch erlaube mir,
zuerst von meiner Familie
Abschied zu nehmen.“
Aber Jesus antwortete:
„Wer die Hand an den Pflug legt
und zurückschaut,
der eignet sich nicht für das Reich Gottes.“

(Lk 9,57-62 – BasisBibel 2021)
   
Kein Zweifel, es geht um Aufbruch.
Nur einige Verse vorher lesen wir,
dass sich Jesus mit seinen Jüngern
auf den Weg nach Jerusalem macht.
Es wird sein letzter Weg sein,
denn dort wird er gefangen genommen,
verhört, verurteilt und hingerichtet werden.
Jesus hat einen schweren,
einen letzten Weg vor sich.
Und das erklärt,
warum er auf die euphorische Zusage
des ersten Menschen  
„Ich will dir folgen,
wohin du auch gehst!“
so schroff und abweisend ist.
Jesus macht deutlich,
dass ein Weg mit ihm
der Weg eines Obdachlosen ist.
Er hat keinen Ort,
an dem er sich ausruhen kann.
Zur Nachfolge von Jesus gehörte eben,
dass man nicht wusste,
wo man die nächste Nacht
verbringen würde.
   
Was aus dem Menschen geworden ist,
der Jesus so vollmundig
seine Begleitung angeboten hatte,
wird im Evangelium nicht gesagt.
Stattdessen spricht nun
Jesus selbst einen Menschen an: „Folge mir!“
Der Angesprochene will das tun.
 Doch er hat noch eine Bitte:
„Herr, erlaube mir,
nach Hause zu gehen
und meinen Vater zu begraben.“

Das ist nicht nur sein Wunsch,
sondern es ist seine Pflicht als Sohn.
Die „Erlaubnis“, um die hier gebeten wird,
 ist im Judentum
eine vom Gesetz, der Thora,
gebotene Verpflichtung,
die vom vierten Gebot abgeleitet wird:
„Du sollst deinen Vater
und deine Mutter ehren.“
Die Antwort von Jesus
„Überlass es den Toten,
ihre Toten zu begraben.“
widerspricht nicht nur diesem Gebot;
sie ist im Grunde unmenschlich.
Zum Menschen gehört,
dass er den Toten
einen besonderen Platz gibt.
Einen Ort für die Trauer
und zur Erinnerung.
Vater und Mutter
sind Teil der Geschichte
eines jeden Menschen.
Das lässt ihn nicht vollständig los,
auch wenn er sich davon lösen will
und zum Teil davon lösen muss,
um sein eigenes Leben zu leben.
Jesus sagt nichts anderes als:
„Die Toten sollen sich selbst begraben“.
Warum Jesus dies sagt,
warum er dies sagen kann,
wird im zweiten Teil
seiner Antwort deutlich:
„Du aber geh los
und verkünde (überall)
das Reich Gottes!“

Es geht darum,
der zukünftigen Herrschaft Gottes,
seinem Reich, Raum zu schaffen.
In diesem Reich hat der Tod
keine Macht mehr.
Weil es den Tod nicht mehr gibt,
gibt es auch keine Toten mehr,
um die man sich kümmern müsste.
   
Noch einmal bietet ein Mensch
Jesus an, ihm nachzufolgen.
Doch auch er hat eine Bitte.
Er will von seiner Familie
Abschied nehmen.
Die Antwort von Jesus auf diese Bitte
ist kein klares Ja
und kein klares Nein.
Er spricht viel mehr
eine allgemeine Erfahrung an.
Wer beim Pflügen nach hinten schaut,
kommt aus der Spur.
Er pflügt krumme Furchen.
Die Übersetzung folgt hier
nicht dem Griechischen.
Dort steht:
„Niemand, der die Hand
an den Pflug gelegt hat
und nach hinten schaut,
ist für das Reich Gottes geeignet.“
Es geht um etwas,
dass niemand tun würde,
eben weil es unsinnig ist:
Beim Pflügen nach hinten zu schauen
ist genauso dumm
wie z. B. neuen Wein
in alte Schläuche zu füllen
oder wie ein Licht anzuzünden
und es dann nicht auf einen Leuchter,
sondern unter ein Gefäß
oder in ein Versteck zu stellen.
Jesus sagt: Wer mir nachfolgen will,
wer das Reich Gottes verkünden soll,
muss sich lösen
von allen familiären und sozialen Bindungen.
Der Weg nach Jerusalem
wird ein Weg in eine andere Existenz sein.
Auf ihm kann und soll nichts Altes
mitgeschleppt werden.
  
Die Begegnung mit Jesus
ist für die drei Menschen ‚
in der Geschichte
ein Augenblick der Wahrheit.
Sie ist wie so oft schmerzhaft. ‚
Doch diese Wahrheit trägt das Leben,
das ein Mensch von Gott erhält.
Diese Wahrheit soll ihn frei machen.
Der Weg in der Nachfolge von Jesus
ist die andere Seite der Botschaft:
„Das Reich Gottes
ist nahe herbeigekommen!“
Der Pflug weist nach vorn.
Wir werden hingewiesen
auf das Reich Gottes.
Das liegt nicht irgendwo
in der Unendlichkeit.
Es ist nahe herbeigekommen.
Es ist wie bei einer großen Aufgabe,
die sich mir stellt.
Es kommt der Punkt,
an dem ich denke:
Das schaffe ich einfach nicht.
Damit werde ich nicht,
damit werde ich nie fertig.
Und dann, wenn ich vor mich schaue
und Schritt für Schritt weitermache,
dann sehe ich auf einmal:
Das geht ja doch.
Das Ende ist in Sicht.
Das werde ich schließlich
wirklich schaffen.
  
„Das Reich Gottes
ist nahe herbeigekommen!“
Das ist eine Zusage
und eine Aufforderung.
Damit es nicht unmöglich wird,
dieser Aufforderung zu folgen,
ist es gut, nicht alle möglichen Aufgaben
und alle anstehenden Probleme
in den Blick zu nehmen.
Und sich nicht davon belasten zu lassen,
was alles schief gegangen ist.
Es ist sinnvoller,
am Reich Gottes dort mitzuarbeiten,
wo ich bin.
Mit den und für die Menschen,
die mir die Nächsten sind
und die man vor lauter Nächstenliebe
manchmal übersieht.
   
Der Weg hin zum Reich Gottes ist weit.
Da ist es gut, sich in Geduld zu üben.
Geduld auch mit sich zu haben.
Dazu hilft, nicht auf die krummen Furchen
zu starren, die man oft selbst hinterlässt,
die ein anderer hinter sich herzieht
oder die man gemeinsam gezogen hat.
Das Reich Gottes
ist nahe herbeigekommen –
ohne unser Tun und Lassen.
Doch wir können daran mitbauen.
indem wir nach vorne schauen
und Schritt für Schritt vorangehen.

Dazu wünsche ich uns allen
viel Geduld und große Zuversicht
Jürgen-Peter Lesch

 
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