St. Vincenz zu Altenhagen I

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Andacht für die Woche vom 11. bis 17. Dezember 2022

09.12.2022

Andacht für die Woche
vom 11. bis 17. Dezember 2022
über das Wochenlied
für den 3. Sonntag im Advent

EG 16 „Die Nacht ist vorgedrungen“

Verfasser: Superintendent in Ruhe
Christian Klatt (Springe)


„Die Nacht ist vorgedrungen,
der Tag ist nicht mehr fern.

So sei nun Lob gesungen
dem hellen Morgenstern!

Auch wer zur Nacht geweinet,
der stimme froh mit ein.

Der Morgenstern bescheinet
auch deine Angst und Pein.“

 

Als dieses Lied,
das Jochen Klepper im Dezember 1937
als „Weihnachtslied“ gedichtet hat,
1950 als eines der ganz wenigen Lieder
aus neuerer Zeit
in das Evangelische Kirchengesangbuch (EKG)
aufgenommen worden war,
mussten sich die Gemeinden
an Text und Melodie erst gewöhnen.
Aber, so habe ich es selber
in meiner Konfirmandenzeit erlebt,
jeder spürte schnell:
Das waren ganz neue,
ehrliche, ernste, und doch hoffnungsfrohe Worte
und Töne in einem Lied zur Weihnachtszeit.
Längst ist es zu einem „Klassiker“
in unseren Adventsgottesdiensten geworden.

    Gleich mit dem ersten Vers
greift Klepper ein Wort
aus der Epistel für den 1. Advent auf:
„Die Nacht ist vorgerückt,
der Tag aber nahe herbeigekommen“ (Röm. 13, 12)
    Nacht und Tag sind aber für ihn
wie schon für Paulus
nicht bloß Zeitbegriffe, sondern Metaphern
für unsere Erfahrungen und Hoffnungen.
„Nacht“ war es damals
zur Zeit der Naziherrschaft in Deutschland,
insbesondere auch für Jochen Klepper
und seine jüdische Frau mit ihren beiden Töchtern.
Es herrschten
tatsächlich überall Angst und Pein,
und nicht nur zur Nacht wurde viel geweint.
Doch Klepper begrüßt
schon mit frohem Lobgesang
den hellen Morgenstern.
Wenn der aufleuchtet, dann wissen wir:
„Die Nacht ist schon im Schwinden“ (Str. 3).

Mit diesem Bild vom Morgenstern
wird in den Strophen 2 und 3
das Weihnachtsgeschehen gedeutet.
„Gott selber ist erschienen“ in dem,
der ein Kind und Knecht geworden ist
und sich mit uns verbündet hat.
Bei ihm kann jeder Heil und Rettung finden,
„wenn er dem Kinde glaubt.“

    Das bedeutet freilich nicht,
dass es nun vorbei wäre
mit allen dunklen und leidvollen Erfahrungen.
Im Gegenteil:

„Noch manche Nacht wird fallen
auf Menschenleid und –schuld.“

So beginnt die 4. Strophe.
Fast scheint es so,
als hätte Jochen Klepper vorausgeschaut
auf die Weihnachtszeit 2022.
Was die Menschen in der Ukraine
oder im Iran auch in diesen Tagen und Wochen
an Angst und Pein auszustehen haben,
ist schlimm.
Und auch unter uns sind viele,
für die das Weihnachtsfest
durch Sorgen, Trauer und Leid
verdunkelt wird.
Aber Klepper fährt fort:

„Doch wandert nun mit allen
der Stern der Gotteshuld.

Beglänzt von seinem Lichte,
hält euch kein Dunkel mehr.

Von Gottes Angesichte
kam euch die Rettung her.“

Stern der Gotteshuld, Morgenstern,
Stern von Bethlehem –
all diese Bilder wollen uns die Gewissheit geben,
dass wir in den Dunkelheiten dieser Welt
und unseres Lebens dennoch
unter dem Glanz der Liebe Gottes stehen.

    Bei Jochen Klepper selbst
war diese Zuversicht des Glaubens
fünf Jahre später
einer tiefen Verzweiflung gewichen.
In der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember 1942
haben er und seine Frau
und die jüngere Tochter
ihrem Leben ein Ende gemacht,
um der drohenden Deportation
in ein Konzentrationslager zu entgehen.
Das ist also
am Tage unseres diesjährigen 3. Advents
genau 80 Jahre her.
Doch auch dieser selbstgewählte Schritt in den Tod
geschah unter dem Anblick
des „Segnenden Christus“,
so Kleppers letzter Eintrag
in sein Tagebuch am 10. Dezember,
dem Donnerstag nach dem 2. Advent.
Den 3. Advent hat er damals
also nicht mehr erlebt.
Nun ist sein großartiges „Weihnachtslied“
zum Wochenlied für den 3. Advent
ausgewählt worden.
Es gibt uns gerade im Gedenken an diesen Mann
und sein Schicksal die Gewissheit,
dass Gott in aller Dunkelheit,
auch in der Dunkelheit des Todes,
bei uns ist.
Diesen Gedanken hat Jochen Klepper
an den Anfang der letzten Strophe
seines Liedes gestellt,
als tröstlichen Zuspruch für uns alle:
„Gott will im Dunkel wohnen
und hat es doch erhellt!“


Ich wünsche Ihnen
eine gesegnete Advents- und Weihnachtszeit.
Gott behüte Sie
und gebe uns und unserer Welt
seinen Frieden!

Ihr Christian Klatt  

 
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