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Andacht für die Woche vom 18. bis 24.Oktober 2020

19.10.2020

Andacht für die Woche vom 18. bis 24.Oktober 2020
Verfasser:  Jürgen-Peter Lesch  
Pastor in Ruhe (Springe – früher Pastor der EKD in Hannover)

„Heile du mich, Herr, so werde ich heil;
hilf du mir, so ist mir geholfen.“
(Jeremia 17,14 – Wochenspruch für den 19. Sonntag nach Trinitatis)

Wo Unheil droht,
sind die selbsternannten Heilsbringer nicht weit.
Das war immer schon so
und das zeigt sich jetzt besonders –
in diesen unruhigen und unsicheren Zeiten.
Heilsversprechen machen die Runde
und verbreiten sich:
‚In Wirklichkeit sei alles nicht so schlimm.‘ -
‚Und mit dem richtigen Medikamenten-Cocktail
werde man schnell wieder gesund.‘ -
‚Und überhaupt sei schon bald
alles nicht nur so wie früher,
sondern viel besser als vorher.‘
Gegen all das hilft,
sich auf das Wesentliche zu konzentrieren
und sich darüber klar zu werden,
was dann trägt,
wenn wir mit unserem Wissen und Tun
nicht wirklich weiterkommen.
Und darum geht es im Wochenspruch:
Was trägt letztendlich uns, unser Leben?


Der Wochenspruch steht im Buch des Propheten Jeremia.
Dieses Buch Jeremia ist in seiner hebräischen Fassung
das umfangreichste Buch der Bibel.
Es ist nach und nach entstanden und langsam gewachsen,
„fast wie ein unbeaufsichtigter Wald wächst
und sich ausbreitet“.
Es ist geworden,
„wie eine Literatur wird,
nicht gemacht, wie ein Buch gemacht wird“.
     Das liegt u.a. daran,
dass das Buch in unruhigen und unsicheren Zeiten
entstanden ist.
Das Land war hin und hergerissen
zwischen den großen Mächten der damaligen Zeit.
Die eine Großmacht, die Assyrer,
hatten lange das Land beherrscht.
Doch ihr Reich brach zusammen,
und eine andere Großmacht,
die Neubabylonier unter dem König Nebukadnezar II –
auch bekannt als „Nabucco“ -
übernahmen die Macht.
Dieser Machtwechsel führte aber auch dazu,
dass sich eine andere Großmacht einmischte –
die Ägypter.

Die Juden gerieten zwischen die Fronten.
Sie konnten sich nicht entscheiden,
welcher Großmacht sie sich unterstellen sollten.
Sie taktierten hin und her,
bis Nebukadnezar dem ein Ende machte.
Er ließ das Land Juda besetzen
und verschleppte die Oberschicht nach Babylon.
     In dieser Zeit tritt der Prophet Jeremia auf.
Er warnt davor, sich mit einer Großmacht
gegen die andere zu verbünden.
Er legt sich mit denen an, die er „falsche Propheten“ nennt.
Die reden nämlich den Mächtigen nach dem Munde.
Sie predigen Wasser und trinken Wein.
Sie beschwichtigen und beruhigen:
Es wird schon nicht so schlimm kommen.
     Jeremia warnt und kündigt sogar Gottes Strafe an –
die Strafe dafür,
dass Könige und Volk
sich lieber auf die falschen Propheten verlassen,
statt ihre Hoffnung auf Gott zu richten.
Und so steht er schließlich ganz allein da.
Niemand hört gern, dass er etwas falsch macht.
Und es geschieht, was in solch einer Situation üblich ist –
Jeremia wird verspottet.
Man fragt ihn:
„Wo ist denn des Herrn Wort?
Soll es doch kommen!“
     In dieser Situation wendet sich Jeremia an Gott:
„Heile du mich, Herr, so werde ich heil; 
hilf du mir, so ist mir geholfen!“
Jeremia kann sich selbst nicht helfen.
Und von den anderen Menschen
kann er keine Hilfe erwarten.
Doch er kann sich an Gott wenden.
Seine Bitte ist eindringlich und ganz persönlich:
heile du mich … hilf du mir“.
Das steht so ausdrücklich
zwar nicht im hebräischen Bibeltext,
aber Luther hat verstanden,
um was es in der Bitte geht.
Hier ist Gott selbst der Gegenüber,
das Du.
Von ihm allein erwartet Jeremia Hilfe und Heilung.
     Und die anderen Menschen?
Vielleicht ist das gar kein Spott:
„Wo ist denn des Herrn Wort?“
Möglicherweise ist das eine echte Bitte:
„Soll es doch kommen!“
Steht dahinter nicht die Frage:
Warum hören wir in unserer Situation nichts von Gott?
     Wir wissen: Menschen müssen Erlebnisse ertragen,
die schwer oder sogar unerträglich sind.
Unser Leben ist nicht frei von persönlichem Leid,
von Krankheit
oder gar dem Tod eines geliebten Menschen.
Es gibt Lebensfragen,
die uns umtreiben
und auf die es keine klare Antwort gibt,
ja, manchmal überhaupt keine Antwort.
Es gibt zwischen Menschen
(Beziehungs-)Probleme aller Art,
die die eigene Seele nicht zur Ruhe kommen lassen.
Das Leid der anderen
und das eigene Leid treiben uns um.
Und manchmal spüren wir plötzlich
mitten im Alltag tiefe Traurigkeit.
In allen solchen Situationen und Krisen
verstehen wir das Leben nicht mehr.
Und als Christinnen und Christen
verstehen wir Gott nicht mehr,
wird unser Glaube brüchig:
„Kann das Gott wirklich zulassen?
Wie passt das mit meinem Glauben
an einem barmherzigen Gott zusammen?
Oder sollte ich in solchen Situationen
meinen Glauben nicht eher außen vor lassen?“
     Jeremia lässt seinen Glauben nicht außen vor.
Ganz im Gegenteil
wendet er sich Gott mit einer klaren Bitte zu.
Er glaubt, dass Gott die richtige Adresse dafür ist,
geheilt zu werden und Hilfe zu bekommen
oder auch gerettet zu werden.
Der Glaube des Jeremia ist ein „trotzdem-Glaube“,
vielleicht sogar ein „jetzt-erst-recht-Glaube“.
Jeremia entlässt Gott nicht aus der Verantwortung.
     Dabei ist sich Jeremia seiner Sache nicht sicher.
Er ist anders als jene Menschen,
die selbstsicher auftreten
und immer mit dem Brustton der Überzeugung
ihre Meinung als die richtige und einzige vertreten.
Er weiß:
 Solchen Menschen muss er mit Skepsis begegnen.
Und es zeigt sich:
Über kurz oder lang werden viele von ihnen
durch persönliche, gesellschaftliche
oder politische Entwicklungen in Frage gestellt:
Oder es werden ihre Fehler aufgedeckt.
     Seiner „Sache“ ist sich Jeremia nicht sicher.
Er zweifelt wohl, aber er verzweifelt nicht.
Bei aller Ungewissheit und Unsicherheit
gilt für ihn doch,
dass bei Gott Heil und Hilfe zu finden ist.
Die Worte, die hier für Heil und Hilfe stehen,
sind in einem weiten Horizont zu sehen.
Es geht bei diesen Worten
nicht einfach um schnelle Erste Hilfe,
um die kurzfristige Abwesenheit von Schmerz,
um die Kaschierung von allgemeinem oder persönlichem Leid.

Mit „Heil“ und „Hilfe“ erinnert Jeremia
an Grundthemen der Gegenwart Gottes.
Und mit diesen Worten
wird zugleich eine Brücke zum Neuen Testament geschlagen.
Das hebräische Wort für „Heil“
findet sich im Namen „Jesus“ wieder.
Durch Jesus, durch den Glauben an Jesus
finden Menschen ihr Heil.
Und die Übersetzung des hebräischen Wortes für „Hilfe“
ist im Neuen Testament das Wort „Soter“.
Das bedeutet: der Helfer, der Retter
und der, der im umfassenden Sinn gesund macht. 
     Das heißt nicht, dass Jeremia das schon im Blick hatte.
Auch wenn er ein Prophet war.
Doch das zeigt: Im Alten wie im Neuen Testament
ist der Glaube eng verbunden mit der Hoffnung darauf,
geheilt und gerettet zu werden.
Diese Hoffnung treibt Menschen an.
Sie hilft ihnen,
nicht den Heils- oder Unheilspropheten nachzulaufen
oder sich ihnen anzuschließen.
Diese Hoffnung ist nicht unvernünftig.
In dieser Hoffnung müssen Menschen
nicht die Augen verschließen.
Sie können den Tatsachen ins Auge sehen.
Sie sind überzeugt,
dass Glaube und Vernunft zusammengehören.
Wer glaubt, kann vielleicht in den Himmel schauen.
Aber er sollte dabei mit beiden Beinen auf der Erde stehen.
So müssen Menschen,
die ihre Hoffnung auf Gott setzen,
Leid, Elend und Sorge nicht verdrängen.
Vielmehr können sie sich mutig
und zuversichtlich dafür einsetzen,
dass Menschen geholfen wird,
ja, dass sie geheilt werden.
Dabei ist die Zuversicht,
dass Gott unser Heil und unsere Hilfe ist  –
auch und gerade in unruhigen und unsicheren Zeiten –
eine sichere Grundlage.
     In der Bitte des Jeremia
ist ja im Grunde die Antwort auf seine Bitte schon gegeben:
„Heile du mich, Herr.
Denn ich weiß, dann werde ich heil sein.
Hilf du mir, Herr.
Denn ich vertraue darauf, dass mir dann geholfen ist“

Amen.

 
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