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Andacht für die Woche vom 13.Juni bis 19.Juni

11.06.2021

Andacht für die Woche vom 13.Juni bis 19.Juni
über den Wochenpsalm des 2. Sonntags nach Trinitatis
Verfasser: Pfarrer in Ruhe Jürgen-Peter Lesch
(
Springe – früher Pfarrer der EKD in Hannover)

Herr, deine Güte reicht bis an den Himmel
und deine Wahrheit bis zu den Wolken.
Deine Gerechtigkeit steht fest wie die Berge Gottes,
dein Recht ist so grenzenlos wie die große Flut.
Herr, du hilfst Menschen und Tieren.
Wie kostbar ist doch deine Güte.
Zu dir kommen die Menschenkinder,
im Schatten deiner Flügel finden sie Schutz.
Von den Gaben deines Hauses essen sie sich satt.
Von dem Bach, der zu deiner Freude strömt,
gibst du ihnen reichlich zu trinken.
Denn bei dir ist die Quelle des Lebens.
In deinem Licht sehen wir das Licht.
(Psalm 36, 6-10 in der Übersetzung der BasisBibel)


„Wir können jetzt nur auf Sicht fahren“
ist ein Satz, der in den letzten eineinhalb Jahren
immer wieder zu hören war.
„Auf Sicht fahren“ heißt,
das zu tun, was unmittelbar erforderlich erscheint.
Dabei hat „auf Sicht fahren“
sowohl eine räumliche wie eine zeitliche Dimension.
Da geht es zum einen darum,
welche Schritte in den nächsten Tagen zu tun sind,
um niemanden größeren Gefahren auszusetzen.
Und es wird zugleich in den Blick genommen,
was unmittelbar vor Ort geschehen soll und kann,
um Risiken möglichst klein zu halten.
Dieses Auf-Sicht-Fahren funktioniert ganz gut.
Doch früher oder später wird es Zeit ,
den Blick zu heben,
weiter nach vorne zu schauen
und über den Tellerrand zu blicken.
Im 36. Psalm wird genau davon gesprochen.
Es wird über den eigenen engen Horizont hinausgeblickt.
Und es wird zurückgeschaut,
um dann den Blick nach vorn zu öffnen.
    

Diese Verse aus dem Psalm 36
sind ein einziges großes Gotteslob
und Bekenntnis zu Gott.
     Die ersten beiden Sätze
sind eine Einladung an uns,
den Blick von dem kurzen Stück Weg
vor uns zu heben und uns umzuschauen.
Zunächst sehen wir den Himmel und die Wolken darin.
Die ganze Welt bis hinauf
zu den äußersten Weiten des unendlichen Himmels
und seiner unfassbaren Wolkenschichten
ist erfüllt von Gottes Güte und Wahrheit.
     Dann geht der Blick in die Ferne –
hin zu den Bergen.

Gottes Gerechtigkeit gleicht Bergen,
die seit Urzeiten fest gegründet stehen.
Und weiter führen uns die Worte,
hin zu den Tiefen des Meeres,
das schon ganz am Anfang der Schöpfung da war.
So tief und grenzenlos wie dieses Meer
ist Gottes Rechtsspruch.
    
Mit diesen wenigen Bildern wird skizziert,
worauf Menschen ihren Glauben an Gott gründen.
Sie glauben, dass Gottes Wirklichkeit
die ganze Welt umfasst,
alle Räume und Zeiten.
Sie ist der dauernde und feste Grund der Welt
und des Lebens in ihr.
Alles, was auf unserer Erde lebt,
und in besonderer Weise auch die Tiere,
hat ein Recht auf das Leben,
begründet in der Güte und Gerechtigkeit Gottes.
War es am Anfang schon zu erahnen,
wird es nun zur Gewissheit.
     In diesen fünf Versen des Psalms
geht es nicht um eine ausschließende Beziehung
zwischen dem gläubigen Menschen und Gott.
Die Perspektive ist viel weiter und offener.
Von den Menschenkindern ist hier die Rede,
das heißt von allen Menschen,
die auf dieser Erde leben –
ohne jeden Unterschied.
    
Das kann durchaus
eine schmerzliche Erkenntnis sein.
Der Fromme, der Gute, der Rechtschaffene
hat keinen besonderen Anspruch auf Gottes Güte.
Sie gilt allen Menschen.
Gottes Angebot, bei ihm Zuflucht zu suchen
und Schutz zu finden,
richtet sich an alle.
Gottes Angebot geht noch weiter.
Alle Menschenkinder sind eingeladen
zu einem Festmahl,
bei dem sie am Tisch des Herrn sitzen.
Und dort können sie die Fülle
aus Gottes unerschöpflicher Quelle genießen:
das Wasser des Lebens.
    
Das kann uns schon verunsichern.
Woran können wir uns orientieren,
wenn Gott seine Güte und Wahrheit,
seine Gerechtigkeit und seinen Rechtsspruch
offenbar wahllos und ohne Unterschied
für alle Menschen öffnet?
Gut, Luther sagt das auch,
wenn er im Römerbrief übersetzt:
„Sie sind allesamt Sünder
und ermangeln des Ruhmes,
den sie vor Gott haben sollen“.
Und weiter heißt es:
„und werden ohne Verdienst gerecht
aus seiner Gnade durch die Erlösung,
die durch Christus Jesus geschehen ist“
(Röm 3,23-24).
Es gilt also vor Gott
kein „wir hier“ und „die da“.
     Damit habe ich manchmal Schwierigkeiten -
gerade jetzt, in einer Zeit,
wo die Emotionen stärker werden.
Da würde ich gern wieder „auf Sicht fahren“
und nicht in größeren Dimensionen
und Zeiträumen denken.
Ganz schlicht sagen:
„Die da“ sind eben nicht wie ich.
Wie gern hätte ich,
hätten wir klarere Verhältnisse,
würden uns ein wenig abgrenzen
von den anderen.
Wo doch vieles so unübersichtlich geworden ist.
Nur: Wenn ich den Psalm recht verstehe,
sind Aus- und Eingrenzen nicht unsere Sache.
So wie der Himmel über uns unbegrenzt ist,
so ist Gottes Güte unbegrenzt.
Seine Einladung gilt allen Menschenkindern.
    
Der letzte Vers
kann da eine Hilfe zum Verständnis sein.
Er ist eine Einladung an uns alle,
uns Gott als der Quelle allen Lebens zuzuwenden
und zu versuchen,
seinen Blick auf uns,
auf uns Menschen besser zu verstehen.
Oft denken wir,
dass wir schon klar sehen,
was ist.
Im Lichte Gottes aber können wir sehen,
was sein könnte.
Wir könnten zumindest erahnen,
wer wir sein könnten
und wie unsere Gesellschaft
und unsere Erde aussehen könnten,
wenn wir Gottes Einladungen
ernst- und annehmen.
Amen.

 
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